Sidihoni TrademarkFREUND HANSI

Als ich klein war hatte ich einen Freund. Ich war 4 und 5 Jahre alt und wohnte in einer kleinen Siedlung, die für Flüchtlinge erbaut worden war. Der Ort hieß  Waldsiedlung und bestand aus 3 Häuserreihen, die an einer frisch gerodeten Stelle erbaut worden waren.
Mein Freund hieß Hansi, Hansi Peuck. Er wohnte in der gleichen Häuserreihe wie ich, 4 Häuser weiter vorne.
Hansi und ich spielten jeden Tag miteinander. Was wir trieben? Ich weiß es kaum mehr. Wir spielten im Wald, auf den Wiesen, fuhren Rollschuh, schnitzten mit Messern ....
Die Erwachsenen mochten das. Sie redeten komische Sachen und lachten manchmal doof. Sie hatten so Phantasien von einem Hochzeitspaar.
Einmal stecke uns ein junger Pubertierender in Hansis leeren Hasenstall, schloss zu und sagte: Küsst euch jetzt! .... und wartete auf irgendwas. Wir hielten still, bis er den Spaß verlor und waren froh, heile aus der Sache herausgekommen zu sein.
Wenn wir unsere Eltern verärgerten - oftmals blieb mir bis heute unverständlich warum? - gab es zuerst Kloppe, dann Hausarrest.

 

Vor den Häusern waren Gartenzäune aus runden scharfen Holzlatten angebracht, mit scharfen Spitzen oben dran. So reihte sich Parzelle an Parzelle mit kleinen Gärten vor den Haustüren.

Hatte Hansi Hausarrest, wollte ich das nicht akzeptieren. Ich war ein Kind von extrem starkem Willen - zum großen Leid meiner Eltern. Und ich hatte riesig viel Luft vom vielen Hilfe-Schreien, wenn ich dachte, sie schlagen meinen Bruder tot.

Diese Stimme habe ich später sehr erfolgreich bei Demonstrationen eingesetzt. Da lief ich zumeist in den vorderen Reihen und brauchte kein Megaphon. Ich ging viel für Menschenrechte und Gleichberechtigung auf die Straße, insbesondere für die Ermöglichung des Studiums für Jugendliche aus den niederen Schichten.

Also - obwohl Hansi sich irgendwo hinter den Fenstern verbarg und davor die Wiese und Blumenbüsche prangten, lehnte  ich mich nahe an den scharfkantigen Gartenzaun, roch das Karboleum vom letzten Anstrich, hielt mich fest und begann mit meiner Hymne. "Hansi, komm raus!". Hansi, komm raaaaaaaauuuuuuuuuuuuuuuuuusssss !!!

Mein Bauch, mein Wille, mein Organ: alles schwoll an zu einem perfekten Instrument. Es schrill und donnerte durch die ersten zwei Reihen, die dritte blieb etwas verschont. Zeit? Kein Faktor.

Wie in Trance, ich wollte nur eines: bald kommt er und ziehen wir durch den Wald.
Mein Gott, wie kann dieses Mädchen nur so brüllen. Unerhört! sagten die Nachbarn. Die alte verrückte Anna störte es nicht, den alten Herrn Johne auch nicht, aber Peucks und Naschwitz ... und genau da drauf spekulierte ich. Hoffentlich schämt sich bald meine Mutter, hoffentlich halten sie es bald nicht mehr aus, die von der ersten und zweiten Reihe.

Mein Gott, was lieben sich diese Kinder, dachten auch einige Bewohner. Irgendwann ließen die Eltern Hansi frei. Er lief durch den Garten zu mir zum Zaun, Türe auf, Freiheit... WIR! Eventuell bekam ich abends Kloppe, weil ich mal wieder zu laut durch die Siedlung gebrüllt habe. "Es war bis in die dritte Reihe hörbar" wurde argumentiert. "Dann bekommst du dreifach Prügel." O.K., stecke ich ein, GUT war ich - sagte ich mir. Triumpf.

Hansi kam in die Schule. Vor mir. Irgendetwas passierte da.
Eines Nachmittags war Hansi vor unserem Gartenzaun, rief und ich durfte zu ihm raus. Hinter den Zaun, in unsere Welt. Wir überquerten die schmale Straße zum Waldrand, wo der Kompost mit Gartenabfällen gelagert war. Hansi zeigte mir die vielen roten langen Schnecken darauf. Sie glänzten, orange, feucht, klebrig. Hansi nahm ein Stöckchen und sagte: schau, was ich kann.
Er zielte mit dem Stöckchen und stach, eines nach dem anderen, den Schnecken die Augen aus.

Mir zog sich der Magen zusammen - die Augen liefen, die Schnecken krümmten sich. Hansi fand das toll, wollte, dass ich das nachmache. „Hansi, lass das!“ Er hörte nicht auf. Da habe ich VERSTANDEN.

Ich ging. Hinter den Zaun. Zurück.

Hansi, die Schule tut dir nicht gut. Was lernst du für Sachen. Bei was nur fühlst du dich stark? Dieser Weg ist falsch.

Ich spielte nie wieder mit Hansi. Kein Ruf mehr.
Die Leute wunderten sich, manche fragten nach. Ich sagte nur: „Ich spiele nicht mehr mit Hansi.“  Mehr äußerte ich nicht.

Bis heute. Würde ich ihn treffen, ich würde sagen: Guten Tag der Herr, ich wünsche Ihnen ein frohes Leben. Alles Gute.

Die Schnecken täte ich nicht erwähnen.

 

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© Foto & Text: cs