Leider ist unser Vater Ama ni Roma Simalango am Mittwoch, den 05.03.2008 verstorben!
Gott habe ihn selig. Wir sind untröstlich, da wir nun an der Bestattungsfeier nicht teilnehmen können. Wir kommen zu spät... Das Gondang mit der Aufbahrung des Rajas hat begonnen, die Bestattung wird Montag, den 10.03. stattfinden. Gerne nehmen wir Ihre Kondolenzen entgegen und bringen sie im April nach Sidihoni.
Vor drei Wochen verfasst, am 24.02.2008 in Rottenburg
Liebe Freundinnen und Freunde von SIDIHONI !
Lieber Besucher, die schon alle vor Ort bei meiner Familie Simalango waren!
Liebe Leserschaft, Fest- und Vortragsbesucher in nah und fern!
Mein Adoptiv-Vater Ama ni Roma Simalango, der Adat-Weise und Dorfschef von Peatabu II, ist seit September schwer erkrankt. Es waren mehrere Krankenhausaufenthalte in Pangururan und auf der Intensivstation in Medan nötig.
Ama ni Roma, 75 Jahre alt, leidet an schwerer Lungenentzündung, Herzschwäche und weiteren entzündeten Organen. Vor Neujahr 2008 wurde er entlassen, da es für ihn keine Hoffnung mehr gab. (Dies ist in Indonesien gebräuchlich, da Bauern in der Regel keine Krankenversicherung haben und abzuwägen ist, welche Kosten der Familienverband tragen kann.
Außerdem sterben kranke, schwache und insbesondere alte Menschen lieber zu Hause. Batak geben dabei ihre letzten Wünsche rechtzeitig kund und selbstverständlich kehren alle Kinder und Enkel – meist für mehrere Wochen – heim.)
So ist es auch bei Ama ni Roma. Zu Weihnachten 2007/2008 kehrten alle zurück, aus Jakarta, Bandung, Medan usw., nur eine fehlte: die Tochter aus Deutschland. Der Sohn Ama ni Mikhael nimmt seither die Stellvertreter-Aufgaben für den Vater wahr und bepflanzt die Reisfelder. Er hat dafür seine eigene Familie in Bandung alleine gelassen, denn seine Kinder sind dort schulpflichtig. So geht es vielen Menschen in Indonesien.
Wir hoffen, Vater Ama ni Roma wird noch leben, bis wir kommen. Dann wären endlich alle bei ihm gewesen und könnte er in Frieden gehen. Ja, so sind die Batak. Ihr Wille ist stark, ihr Wunsch hält sie am Leben, Gemeinschaft gibt ihnen Kraft und Gemeinschaft gibt ihnen Geborgenheit, wenn man schwach wird und gehen muß.
Wir wollen dem Vater zu Ehren ein Gondang geben. Das ist ein Fest mit den großen Trommeln, Gongs und Oboenspiel. Selbstverständlich bitten wir Herrn Binsar Nadeak mit seinem Orchester zu diesem Ehren-Ritual. Vielleicht wird es Vater helfen, zu genesen. Vielleicht wird es ihn aber auch in die Welt der Ahnen und des Himmels begleiten.
Wir wollen ihm und uns allen das Gehen so schön wie möglich gestalten. Vielleicht finden Sie das etwas ungewöhnlich, vielleicht sogar makaber? Wir nicht.
Ich war auf Festen, die für Kranke zelebriert wurden, wo auf dem Balkon des Hauses die Trommeln erklangen, wo auf dem Dachbalken die Opfergaben für die Ahnen lagen, bei denen der Kirchenchor zugleich lautstark sang und die Presbyter inbrünstig beteten. Das war Gondgang zur Genesung. Und was geschah? Als alle um die Kranke tanzten, ihr die Wangen streichelten, sich dabei das Sahala, die Ausstrahlungskraft der ehrenhaften Alten, mit den Händen einstrichen, als die Alte im Mittelpunkt des Geschehens war und ALLE um sie versammelt waren, schloß sie die Augen. Das Fest bekam umgehend einen anderen Charakter… andere Weisen wurden gespielt…. Vielleicht ist es, wie wenn hier im Westen jemand schon die himmlischen Trompeten hört und einfach mitgeht…
Mein Buch SIDIHONI handelt von LEBEN und BESTATTUNG unter den Toba-Batak auf Sumatra. (Vergleichen Sie den Untertitel). Wie komme ich zu dem Thema? Nur durch das, was ich vor Ort von den Menschen selbst gelernt habe: ihre wunderschöne Art, mit den Alten, mit Sterbenden, mit Verstorbenen und den Gebeinen ihrer Vorfahren umzugehen. Auch wenn der Schmerz einem dabei quält, wenn es traurig ist und weh tut, so kann es auch so schön und ein Fest der Freude sein. Wir kennen so etwas hier nicht. Doch die Kultur der Batak hält dafür traditionelle Ausdrucksformen bereit.
Haben Menschen z.B. ein hohes Alter erreicht und sind ihre Nachkommen alle verheiratet und erfolgreich, so steht ihnen ein Ehrenfest zu. Schweine und Büffel werden geschlachtet und Hunderte von Gästen werden gespeist. Vor dem Haus des ehrenvollen alten Paares wird ein Weltenbaum errichtet und drum herum tanzen alle Verwandten und Nachbarn zur Trommelmusik. Ja, was der Wunsch der Alten, ist die Pflicht der Jungen. Wie schön, seine Pflicht erfüllen zu dürfen. Sie hoffen dafür, dass die Seelenkraft der Alten auf sie selbst übergehen möge….
Übrigens: das Cover meines Buches bildet genau solch ein Ehrenfest ab.
Manchmal bitten die Menschen auf dem Sterbelager ihre Kinder und Enkelkinder eindringlich, diese oder jene gesellschaftliche Pflicht endlich zu erledigen, z.B. eine Ehe einzugehen oder ein versäumtes Fest nachzuholen. Das hat Gewicht, niemand kann sich dem verweigern. Das kann auch bitter sein. Und so erhält sich die Tradition, denn die Alten wünschen die Einhaltung ihrer Sitte.
Leider kann ich nun nicht an dem internationalen Symposium an der Uni Mainz zum Thema Alter und Altern in westlichen und nicht-westlichen Gesellschaften. Soziale und kulturelle Perspektiven* teilnehmen. Denn was ich theoretisch wissenschaftlich darlege, will wieder einmal mehr gelebt werden. Es ist das 2. Internationales Mainzer Symposium - Anthropologie im 21. Jahrhundert. Reflexionen zu Alter und Altern in Vergangenheit und Gegenwart. Biologische und kulturelle Perspektiven. 3.-5. April 2008, Universität Meinz. Details unter: >>>zum Symposium der Uni Mainz
Und nun der Hinweis für Insider, für jene, die in die Hintergründe des Buches und Tiefen der Vorträge eingetaucht sind: Mit dem Fest will ich auch etwas ERBITTEN. So wie auf Indonesisch das Wort für Danke „Nehmen-Geben“ heißt (terima kasih), so werde ich bei dieser Gelegenheit um meine Erbschaft bitten. Nicht um Reisfelder, die mir schon vor vielen Jahren angeboten wurden, nein. Das TUCH der Großmutter, der letzen Schamanin, der Mutter von Ama ni Roma Simalango soll mit mir kommen.
Wir hoffen nun aus ganzer Kraft, dass unser Vater im April noch leben wird. Mit jedem Lied des Gondang wollen wir ihm Genesungswünsche und Ehrenreden zukommen lassen – auch von Ihnen hier in Europa. Vater Ama ni Roma ist ein hochgeistiger Mensch, ein wahrlich Intellektueller, aber bettelarm. Wer dort war, ist gerade von der Bescheidenheit seiner Familie so berührt.
Seit Erscheinen des Buches kamen etliche Gäste aus dem Ausland vorbei – ÄrtzInnen, Vorsitzende von Deutsch-Indonesischen Vereinen, Kulturschaffende aus Europa (Frankreich, Schweiz, Niederlande) und binationale deutsch-indonesische Familien. Ihnen allen danke ich für Ihre Berichte und Bilder, die Sie mir zukommen ließen. Nun lade ich Sie ein, ein paar Zeilen zur Genesung zu schreiben und ein paar Euro in den Briefumschlag dazu zu legen.
Dann würden wir, meine Begleiterin Frau Britta Höckh und ich, in Ihrem Namen um ein Gondang-Lied bitten und Ihre Zeilen den Versammelten vortragen. Die Orchester-Musiker des Gondang tragen dann ihre Bitte weiter an die AhnInnen, Götter und Mulajadi-na-Bolon, den „Beginn des Großen Werdens“ wie Gott in ihrer Sprache heißt. Nur sie können vermitteln. Zu diesem Zwecke sitzen sie erhöht im Dachstuhl des Hauses, näher an den Gestirnen… näher am Himmel… Sie sind berufliche Ritualmeister, die ein hohes Honorar bekommen und pro Lied eine separate Aufforderung mit einem Geldschein erhalten. Deshalb die Euro ( 5 reichen durchaus) in Ihrem Briefumschlag.
Wir werden Anfang April in Sidihoni ankommen und dann bis max. 23. April vor Ort sein. Wenn es nach unserem Wunschplan geht, dürfte Mittel April das Gondang stattfinden. Hierzu sind Sie herzlich eingeladen, bitte kommen Sie zu uns nach Sidihoni.
Wir danken herzlich unseren Arbeitgebern in der Industrie/Freien Wirtschaft für ihre Kooperation und die Genehmigung eines vorgezogenen Urlaubes. Und wir danken Ihnen, liebe LeserInnen, allen für eingehende Genesungswünsche im Voraus.
Terima kasih banyak
Mauliate Godang
HORAS tondi mardingin, pir ma tondi matogu (Möge unser aller Geist kühl und fest bleiben) !
Ihre / Eure Christine Schreiber, 24.02.2008
Info:
24.02.08: Soeben erreicht uns seine SMS: Herr Simalango ist erneut ins Krankenhaus in Medan eingeliefert worden. Bitte beten Sie mit uns.
Es können nur Post-Briefe mit Genesungswünschen entgegengenommen werden; bitte keine e-mails, bitte auch keine Anrufe, da wir sehr viele Vorbereitungen zu erledigen haben. Vielen Dank!
Anmerkung: Buchbestellungen und -auslieferungen können im Monat April nicht bedient werden.
Bildnachweise:
1. Christine Schreiber und der Adoptiv-Vater Ama ni Roma Simalango © Heike Weiß 2002
2. A.Simalango als Ritualmeister anlässlich des Ahnen-Festes wegen dem abgesunkenen See Sidihoni © DVD-Video von Handipan Simbolon, Mangelek Pohonan Sampuran Napitu Sipitu Mata Tao Sidihoni, Pangururan 2006
3. Große Trommeln des Gondang hängen aus dem Balkon herab © ch. Schreiber 2002
4. Der Sarunen-Spieler Binsar Nadeak am Sarg seiner Großmutter © Britta Höckh 2001
5. Sitio-Tio, Samosir, Fest für die Alten Saur Matua © Ch. Schreiber, Buchcover
6. Britta Höckh mit dem Orchester-Leiter Binsar Nadeak, Lintongnihuta © Ch. Schreiber 2006
7. Vater und Mutter Simalango mit dem jüngsten Sohn, dessen Frau und dem Enkel Niko vor unserem Adat-Haus in Sidihoni © Anke Witthoeft 2005
8. Das Dorf Peatabu II und das Gründer-Haus © Ancke Witthoeft 2005
9. Vater Ama-ni-Roma und seine Frau boru Sihombing beim Besuch von Dr.Petersen © Helga Petersen 2007
10. Die Zukunft von Sidihonis – die Kinder © Siggi und Heike Weiß 2002