Einige Textausschnitte,
die die Arbeitsweise und Argumentation
von Julia Linder zeigen.
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Perspektivwechsel: re-agierende Protagonisten
(1.6) Die Paniaran und Sibaso
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Über die Paniaran kommen wir zu einer engen Verbindung von 1. Weiblichkeit, z.B. einer mythologisch durch die Frau geschaffenen Erde, 2. der direkten Verbindung zu den Vorfahren und damit 3. zur Fruchtbarkeit von Mensch und Land. Letzeres mündet in die Territorialität. Das zeigt die Linie der religiös-politischen Organisationskraft.
Wenn auch die Parbaringin und Paniaran durch gezielte Schläge der Kolonialregierung und der Mission zerstört wurden, so zeigt sich doch in Zweitbestattungsfesten noch immer dieses grundlegende Prinzip der Territorialität. Und darin sind die Überreste der alten Bius-Opferfeste und die Einhaltung alter Bius-Strukturen sowie die besondere Beziehung der Batak zu Land zu erkennen:
Warum scheuen viele Familien weder Kosten noch Mühe, um ihre Toten im heimatlichen bius-Grund begraben zu können - sind diese auch weit entfernt davon gestorben? Wie lässt sich ebendort die große Bedeutung der Sekundärbegräbnisse (mangongkal holi) erklären, durch die das Batakland inzwischen mit hunderten von teuren Betonmonumenten übersät ist und deren Rituale große Übereinstimmung zeigen mit den bius-Büffelopfern? […] Warum werden während dieser Rituale die bius-Strukturen immer noch im Leben gehalten […]? Meines Erachtens haben wir darin Hinweise zu sehen, die darauf deuten, dass die Beziehung zum heimatlichen bius-Grund (auch für Migranten) bis heute noch, wenn auch selten in Worte gefasst, tief im tobabatakschen Wertesystem verankert ist. (ANGERLER 2009: 73)
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(2.2) Verquickung von Mission und Kolonialmacht
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Die niederländische Kolonialregierung hatte die Unruhen genutzt, um ihre Kolonialverwaltung zu erweitern. Durch die Kriegswirren und die Demonstration der militärischen Stärke gelang es den Niederländern bis 1879 bereits einen Großteil des Toba-Bataklandes unter ihre Souveränität zu bringen. Bis 1890 folgten die südlichen Batak-Regionen (KOZOK 2000: 254). Als nun 1879 die niederländisch-bürgerlichen Gesetze zum ersten Mal überarbeitet wurden, stand das Gebiet von Silindung (wo Nommensen zu der Zeit stationiert war und das Dorf Hutadame gelegen war) bereits unter kolonialer Verwaltung. Da es den Missionaren trotz der Gemeindeordnung und zusätzlichen Kirchenzuchtsordnungen nicht gelang altbataksche Ritualausübung zu unterbinden, nutzte Nommensen 1879 den sich bietenden machtpolitischen Vorteil und ließ die bürgerlichen Gesetze durch die Kolonialregierung in Kraft setzen. Mittels dieser Gesetze erwirkte er ein Verbot der traditionellen religiösen Organisationsstrukturen Bius und Parbaringin und eine Unterbindung altbatakscher Rituale, die mit Ahnenverehrung und Opferkulten in Verbindung standen (PURBA 2005: 217). „Die Missionare der Rheinischen Missionsgesellschaft aus Barmen […] hatten nie ein gutes Verhältnis zu den parbaringin, deren Existenz ja intrinsisch mit der traditionellen Religion, mit dem regelmäßigen Kult und auch mit Selbständigkeit und Unabhängigkeit auf politischer Ebene verknüpft war.“ (ANGERLER 2009: 6)
Durch die Verabschiedung dieses Zivilrechts durch die Kolonialregierung hatten die Gesetze über die Christengemeinde hinaus auf die gesamte Batakgesellschaft Geltung. „To the missionaries such a prohibition meant the destruction of the traditional belief system and its practice. To the colonial government it meant the destruction of traditional political organisations (bius und parbaringin), while to the people it signalled a death sentence to their religion.” (PURBA 2005: 218) Dieses Verbot wurde erst im Jahr 1938 durch Korn, den vorletzten Residenten Tapanulis, wieder aufgehoben (ANGERLER 2009: 6).
Betrachtet man das Wachstum der Christengemeinde während der Zeit dieser Verbote, so kann man einen zu den Zeiten davor unvergleichbaren Anstieg wahrnehmen: waren es 1877 noch 2.173 Konvertiten, stieg die Zahl der Christen bis 1881 auf 5.988 und bis 1892 bereits auf 21.779. Um die Jahrhundertwende wächst die Gemeinde bereits auf über 40.000 Mitglieder und erreicht zehn Jahre darauf die 100.000er Marke (PURBA 2005: 216-218).
TOBING und KORN machen diese Verbote zum Dreh- und Angelpunkt für den herausragenden Erfolg der christlichen Mission in den Gebieten der Toba-Batak in dieser kurzen Zeitspanne: „It was the death-sentence of the Toba-Batak religion and Korn […] says about it: ‚By this prohibition the whole parbaringin-organization, champion of the pagan world of thought and strong bulwark against the progressing Christianiziation was at once paralysed‘.“ (KORN zitiert nach TOBING 1956: 19)
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(2.3) Zwischenergebnis
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Die Verquickung der Mission mit der machtpolitischen und militärischen Präsenz der niederländischen Kolonialmacht als Unterwerfungsstrategie. Der größte Schlag gegen das traditionelle religionspolitische System war das im Zivilrecht von 1879 verankerte Verbot der traditionellen religiösen Organisationen und der Durchführung altbatakscher Rituale der Ahnenverehrung. Dieses rigorose Durchgreifen der Mission unter dem Deckmantel der Kolonialregierung rief bewaffneten Widerstand traditioneller batakscher Würdenträger hervor. Die militärische Präsenz der Kolonialregierung war jedoch nicht zu brechen und wurde von den Niederländern öffentlich zur Schau gestellt.
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Das Verbot altbatakscher Rituale und deren Ersetzung durch europäische Kirchentradition bedeutete gleichzeitig eine Entwurzelung der Batakkultur. Bataksche Ritualausübung wurde gesetzlich verbannt und damit verschwand ein seit Jahrhunderten bewährtes konstitutives Bezugselement der Batakgemeinschaft aus dem öffentlichen Raum.
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Religionspolitische Abhängigkeit. Gerade das durch die Kolonialregierung durchgesetzte Verbot der religionspolitischen Organisationen, die der Ausmerzung des „Heidentums“ und einer Vormachtstellung der Missionare im Wege standen, besiegelte den Übergang der Batak in die religionspolitische Abhängigkeit von den Missionaren in Kooperation mit der Kolonialregierung. In Bezug auf die inmitten des Toba-Sees gelegene Insel Samosir, eine der am längsten unabhängig gebliebenen Enklaven der Toba-Batak, lässt sich diese Einschätzung durch LUKAS (2011: 426) bestätigen: Die beständige Identifizierung der Mission mit der Kolonialregierung und die starke Loyalität der Samosiresen gegenüber dem Singamangaraja machten zu dieser Zeit eine breitere Christianisierung der Bevölkerung der noch unabhängigen Halbinsel unmöglich.
Kaum jemand war ernstlich an der neuen Religion interessiert. Im Gegenteil: Die biblischen Erzählungen wurden als irgendwelche alten Sagen (turiturian) und als Lockzauber (dorma) der als „Weißaugen“ (halak sibontarmata) apostrophierten Europäer, die sie damit unter ihre Herrschaft bringen wollten, angesehen (vgl. Sidjabat 1977, 5). Daraus wird ersichtlich, dass die nach der kolonialen Einverleibung der Halbinsel erfolgte Missionierung weniger der Anziehungskraft der christlichen Religion selbst zuzuschreiben war. Erst als Samosir seinen Status als unabhängige Enklave inmitten Niederländisch-Indiens verloren hatte, wurde aufgrund der veränderten Bedingungen und auf der Basis des traditionellen soziopolitischen Systems ein Beitritt zur christlichen Kirche als „power-wielding organization“ (CASTLES 1972, 137) vorteilhaft.
© Fotos: Ch. Schreiber, Singabaru, Karo-Batak Zweitbestattungsfest, Präsentation der Schädel und Gruppentanz,1989
(3.1) Ritueller Hauptakt
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Dem Borotan kommen auf der Symbolebene mehrere Bedeutungen zu: Er verkörpert erstens den mythologischen Weltenbaum, der im dreistufigen Kosmos Ober- und Mittelwelt miteinander verbindet. Durch die Errichtung des Borotan auf dem Festplatz kommt es durch die mythologisch-kosmische Symbolik des Baumes zur Sakralisierung des Raumes und zur Sakralisierung der Zeit (BERLEJUNG 2003: 4-5). Der Dorfplatz wird durch das Aufstellen des Opferpfahls geographisch zum Mittelpunkt des Kosmos und transformiert das Geschehen temporal in die Zeit des Mythos und der Schöpfung (SINAGA 1981: 127-129). Die „irdische Realität [wird] auf die kosmische hin transparent [ge]macht“ (BERLEJUNG 2008: 3). Die Transformation des Festplatzes zum Zentrum des Kosmos und die Transposition der Festteilnehmer in die Zeit des Mythos öffnen den oben beschriebenen Übergang zwischen den verschiedenen weltlichen Sphären. Der Borotan fungiert als die Sphären verbindende Axis Mundi, „at which the immolation of the buffalo makes possible the transfer of the human spirit to the afterworld.”(WESSING 2006: 225)
Des weiteren manifestiert sich im Borotan menschliche, wie auch agrarisch verstandene Fruchtbarkeit. ANGERLER führt aus (1997: 422-423), dass der Borotan aus dem Holz eines ganz bestimmten Baumes, dem Sarumarnaek-Baum, geschnitzt wird. Der „dynamische Charakter“ dieses Holzes liegt in seiner physischen Beschaffenheit: „das in frischem Zustand weiche und leicht schnitzbare Holz […] zeigt die Eigenschaft des Hart-werden-Könnens im Laufe des Trocknungsprozesses. So hat es in gewisser Weise dem Penis vergleichbare Eigenschaften […] [und] steht [damit] in engstem Zusammenhang mit Fruchtbarkeit, mit neuem Leben.“ (ANGERLER 1997: 423) Außerdem symbolisiert nach ANGERLER der Borotan auch die zwischenmenschliche sexuelle Vereinigung: „bei einem großem [sic!] Büffelopferfest zeichnet der datu tanzend die bindu-matogu-Figur rund um den borotan. Diese Figur symbolisiert (unter anderem) die acht Himmelsrichtungen, also den horizontalen Kosmos, die (weibliche) Erde, in deren Zentrum der borotan zu stehen kommt.“ (1997: 428)
Auf dem hergerichteten Sakralplatz werden für den rituellen Hauptteil die Särglein mit den Gebeinen aufgebahrt. Offizieller Auftakt des Festakts ist die Hereinführung und das Festmachen des Opferbüffels am Borotan. Das Opfertier ist im allgemeinen Indikator für die Größenordnung, Prächtigkeit und Signifikanz eines Festes. Entlang der Vorstellung konzentrischer Kreise ist das Opfertier bestimmend für eine konkrete Festgemeinde, die sich zum gemeinsamen Verspeisen zusammenfindet und als Sapanganan bezeichnet wird: Angefangen beim Huhn für den kleinsten konzentrischen Kreis einer Opfergemeinschaft (kleinerer Familienverband), über Schweine, bis hin zum größten Verwandtschaftsverbund, inklusive Boru und Hula-Hula und wiederum deren Boru und Hula-Hula, bei deren Zusammenkunft ein Büffel geopfert wird (VERGOUWEN 1964: 34-35).
Der Büffel ist das symbolträchtigste Opfertier und ist zentrales Element der „gesellschaftlich wohl bedeutsamsten Kategorie“ von Ritualen (ANGERLER 1997: 422). In verschiedenen indonesischen Legenden ist der Büffel Ausgangspunkt für die Kultivierung eines Landes beziehungsweise einer geographischen Region: „we see then that buffalo (or cows), emerging from the underworld, are intimately involved in the founding of states and indirectly with rice and welfare. It is indeed when they move from the waters to the dry land […] that the state becomes possible.” (WESSING 2006: 216) SINAGA spricht dem Büffel ebenfalls eine hohe Komplexität des Symbolgehaltes zu (1981: 130-131). Der Büffel ist grundsätzlich ein Symbol für die Mittelwelt und der Adat der Mittelwelt und damit im weiteren Sinne für alle Lebewesen und Werte dieser Sphäre.
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© Fotos: Ch. Schreiber: Urne und Tugu (Mausoleum aus Beton) in Sihotang und Muara, Toba-Batak, 2011
(3.2) Bewahrung alten Symbolgehalts
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Vollkommen unzutreffend ist meines Erachtens die Einschätzung dieser Feste als Kompromiss jedoch aus Sicht der Kirche . Hier ist nicht von einem Kompromiss, sondern nur von einer ungewollten und unvermeidbaren Kombination zu sprechen, die dort, wo sie auftritt, ‚bedeutungslos‘ erscheint. Mit der Klassifizierung ‚bedeutungslos‘ beziehe ich mich auf die Einbindung christlicher Vertreter zur Ermahnung, nicht in das Heidentum zurückzufallen. In der Eröffnung des Festes mit Gebeten – in Anbetracht des altbatakschen Symbolgehaltes und der Ausrichtung der gesamten Veranstaltung – kann man diesen Einflechtungen im Gesamtkontext keine große Bedeutung zusprechen. Doch kann ich mich in diesem Fall SCHREIBERs Ansatz anschließen, dass „eine gesonderte Studie [erfassen] müßte, wie einzelne Personen verschiedenen Alters und Geschlechtes selbst die Anteile der verschiedenen Religionen und Weltanschauungen sehen, ob sie sie als komplementär ergänzend, als nebeneinanderstehend dual oder als konträr unvereinbar empfinden.“ (2005: 70)
Der Symbolgehalt der einzelnen Riten zeigt auf, dass das Ritual selbst in seiner Bedeutung untrennbar mit dem Ahnenkult, einer Gabentauschgemeinschaft und der Interdependenz von Lebenden und Toten verbunden ist. „So enthüllt die Adat innerhalb des kirchlichen Christentums ihren unveränderten und unveränderlichen Kern als Ahnenreligion, als Vertrauen auf die Selbstmächtigkeit des Tondi, mithin als diametraler Gegensatz zur Menschwerdung Gottes und der allgenügsamen Gnade Gottes, die in dem Schwachen mächtig ist.“ (SCHREINER 1972: 256)
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(3.3) Das Zweitbestattungsritual im gesellschafts-politischen Kontext
Reorganisation und Veränderung von Ritualen
Rituale haben wichtige Funktionen für die Organisation und Reorganisation sozialer Kontexte. Rituale sind der Raum für die Inkraftsetzung und Neuverhandlung von Machtverhältnissen. Sie dienen der Heilung beziehungsweise der Stabilisierung sozialer Beziehungen, „they are thought to renew the communion between humans and a transcendent being; they aim to rectify imbalances between the human and the spiritual world“ (RAO 2006: 159).
RAO argumentiert, dass unabhängig davon welche spezifische Rolle einem Ritual in der Gesellschaft zukommt, es immer in fortwährende Machtverhandlungen eingebettet ist. Durch den sozialen Kontext, in dem sie stehen, sind Rituale nie vollkommen abgetrennt von anderen sozialen Prozessen. RAO begründet diese Hypothesen an drei Faktoren. Erstens: Wird Autorität innerhalb eines Rituals etabliert, geschieht dies in Bezug auf andere soziale Kontexte und hat auch darüber hinaus Auswirkungen; zweitens, Ereignisse und Transformationen, die durch das Ritual hervorgerufen werden, sind für die Neugestaltung von Beziehungen relevant, und drittens, die Bedeutung, die einem Ritual oder einer Ritualsequenz beigemessen wird, ist Teil eines kulturellen Repertoires, in dem Relationen zwischen den verschiedenen Lebensbereichen etabliert und verhandelt werden (RAO 2006: 158-159).
Übertragen wir nun RAOs Leitfaden auf den hier behandelten Kontext. Was dieses Ritual in sozialer Hinsicht für die Batakgesellschaft leistet und in welcher Form sich die „face-to-face“ Beziehungen (RAO 2006: 143) innerhalb der Gemeinschaft verschieben, ist klar dargelegt: Das Zweitbestattungsritual ist eine religiöse, soziale, politische und ökonomische Angelegenheit.
Das traditionelle verwandtschaftliche System des interdependent strukturierten Dalihan na Tolu-Gefüges wird gestärkt. Parallel dazu wird durch das Ritual der Vorfahre hierarchisch nach ‚oben befördert‘, was wiederum Segen für die Gemeinschaft als Ganzes bringt.
Das verbessert gleichzeitig die direkten Nachkommen in ihrem innerweltlichen Status und sichert im Sinne des Kreislaufes beste Voraussetzungen für den eigenen Aufstieg und eine fortwährende Ehrerbietung nach dem Tod. Die junge Generation beweist durch ihre Teilnahme und Finanzierung ihre Einhaltung der moralisch religiösen rechtlichen Sitte, der Adat. Durch das Ritual erfährt die Adat der Mittelwelt, das Dalihan na Tolu-System und die vertikale Aufeinanderbezogenheit in der symbiotischen Gemeinschaft der Lebenden mit den Toten ihre Bestätigung: „In der ‚Lebens‘-Gemeinschaft mit den Ahnen manifestiert sich die Adat-Gemeinschaft als Religionsgemeinschaft.“ (SCHREINER 1972: 95)
Während Rituale einerseits dazu dienen, momentane Beziehungen rezuorganisieren, tragen sie auch im Zusammenspiel verschiedener sozialer Kontakte und Lebensbereiche eine Bedeutung, die sich am besten in den Veränderungen ihrer Regeln und Wirkungsmechanismen erfassen lässt.
Insofar as rituals can momentarily rearrange (social) relations, they create separate but not unconnected forums for the negotiation of relation. To understand how rituals are relevant for the reformulation of connected contexts, we need to look at shifts in rules and their efficacy for rearranging perception and have to explore the ways in which alternative perceptions are transported from one frame into another. (RAO 2006: 159-160)
Dieser Maxime RAOs folgend, wird nun die religionsgeschichtliche Entwicklung in Reaktion auf das Christentum betrachtet. Welche Relevanz hat dieses Ritual im historisch-politischen Kontext?
© Fotos: Ch.Schreiber: Das Silindungtal als Ausgangspunkt der protestantischen Mission und Blick auf den Toba-See, 2011
Indonesien im Umbruch
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1942 wird die niederländische Kolonialmacht durch die japanische Okkupation abgelöst. Von den Indonesiern zunächst als Befreiung wahrgenommen, stellte sich die reale politische Situation jedoch recht bald als eine weitere autoritäre Fremdherrschaft heraus: „the economic program imitated those of prewar European colonial powers, and Japanese rule, like European rule, was based on notions of race hierarchy and uplift, with Japan, instead of the West, as best race and Asian states ranked in terms of their cultural development.“ (OWEN 2005: 304)
Im Zuge der japanischen Okkupation fanden sich die christlichen Batak und die HKBP in einer schwierigen Situation wieder. Als Träger der westlichen Religion der früheren Kolonialmacht wurden diese per se als pro-westlich verdächtigt. Kirchlich getragene Institutionen wie Schulen, Krankenhäuser und Kirchen wurden daher von den Japanern enteignet und für eigene Militär- und Versorgungszwecke umfunktioniert. Die junge selbstständige Kirche sah sich mit der Zerstörung der aufgebauten christlichen Infrastruktur konfrontiert (ARITONANG 2008: 551).
Nach der japanischen Kapitulation 1945 und Ausrufung der Unabhängigkeit Indonesiens beginnt noch im selben Jahr der vierjährige indonesische Unabhängigkeitskampf gegen die Niederlande. „The Christian Toba, who had been accused of having colonial sympathies, reflected the new spirit and proved to be valiant fighters in the struggle of independence.“ (BRUNER 1961: 512) Doch selbst nachdem Indonesien diesen Unabhängigkeitskampf 1949 gewinnt und die Souveränität an die Republik Indonesien übergeben wird, kommt die politische Lage noch nicht zur Ruhe.
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(3.5) Zweitbestattungen: Zwischenergebnis
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Bringen wir diese Entwicklungen zusammen mit dem traditionellen Verständnis des Sterbens und Verwesens und der damit zusammenhängenden Behandlung der Gebeine, wie in Kapitel 3.1 dargelegt, so lassen sich hier doch erhebliche Modifikationen ablesen. So schrieb HERTZ zu dem sich stufenweise vollziehenden Transformationsprozess des Verstorbenen: „We are thus justified in believing that, normally, the time which elapses between the occurrence of death and the final ceremony corresponds to the time judged necessary for the corpse to reach a skeletal condition, but that there are secondary reasons which arise and so prolong this period, sometimes indefinitely.” (2004: 31-32) Diese ursprüngliche Wartezeit, die an den natürlichen Prozess der Verrottung der Weichteile gebunden war und sich gegebenenfalls erheblich verlängern konnte, verliert sich nun in den priorisierten Bedürfnissen der Moderne. Dieser Prozess des Sterbens und der Transformation zum Ahnen hat sich wohl (praktischerweise) in solchen Fällen der Zeitknappheit der Moderne angepasst.
Durch das vermehrte Aufkommen batakscher Zweitbestattungen verweist SCHREIBER auf die Tatsache, dass in absehbarer Zeit für manche Marga ein „Mangel an sakralen Gebeinen“ herrschen wird. In bestimmten Gebieten hat dies bereits zu Modifikationen geführt, auch „Hinzubettungen [...] einzelner Verwandter“, sowie der „Transfer historischer, ungeöffneter Urnen“ werden nun als Anlass genommen, ein großes Fest zu veranstalten (SCHREIBER 2005: 97-98).
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(4.) Flexibler Konservatismus
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Der bestehende stete Wandel, der hier am Beispiel des Zweitbestattungsrituals dargestellt wurde, wird überschattet von der konservativen, konservierenden Macht der Adat, die jedoch bei genauerer Betrachtung, als konstituierender Faktor die Fähigkeit zur Adaption an neue Phänomene besitzt, um durch moderne Herausforderungen zu wachsen.
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Zusammenfassend lässt sich somit hervorheben, dass dieser Wandel eben in Reaktion auf neue Einflüsse (bis jetzt) das Überleben der batak-ethnischen Identität, der Tradition und dadurch immer neu bestätigt – der Adat – garantiert.
Schlussgedanke
Zweitbestattungsrituale sind Teil des kulturellen Repertoires, in dem permanent die Relationen zwischen verschiedenen Lebensbereichen und politisch-historischen Bedingungen neu verhandelt werden.
Unterliegen sie zwar Modifikationen, bleiben sie doch das ‚kulturelle Gedächtnis der Gesellschaft‘ und Ausdruck der batakschen Ahnenreligion, die sich nicht in den privaten Zirkel, in die Privatsphäre hat abdrängen lassen, sondern ihren Platz in der Öffentlichkeit eingefordert hat.
Mehr zu Dr. Angeler und seiner Dissertation finden Sie hier
auf dieser website >>> Angerler Buchvorstellung
Was Sie erwartet:
Julia Linder erweitert die Abhandlung zur Zweitbestattung in "meinem Sidihoni-Buch" durch ihre Aufarbeitung seither neu erschienener Literatur und eigener religionssoziologischer Aspekte.
So stellt sie das Ritual Zweitbestattung in den Kontext von Ursula Rao (2006), Ritual in Society, zieht Mauly Purba mit ihren Studien zum Gondang Sabangunan hinzu, verarbeitet die Erkenntnisse und Befragungsergebnisse von Raja Oloan Tumanggor (2006) zu Adat und christlicher Glaube und Jan S. Aritonang (2008) mit seiner Geschichte des Christentums in Indonesien. Immer wieder illustriert sie ihre Beschreibungen und Thesen mit Zitaten aus der umfangreichen Dissertation Johann Angerlers (2009), Helmut Lukas, Ch. Schreibers u.a.
Sie betrachtet kritisch die Entwicklung des Zweitbestattungsrituals im Rahmen von christlicher Missions-Repression und eigener Widerständigkeit der Batak, während und nach der Kolonialzeit, dem Zusammenspiel von Kolonialverwaltung, Militär und Mission, der Einführung der Geldwirtschaft, der Entstehung des unabhängigen Nationalstaates mit dem Helden des SiSingamangarajas, dem Prozess einer sich eigenständig etablierenden christlichen Kirche (katholischen und protestantisch) und neueren sozialen Entwicklungen. Weiteres Materialen hierzu findet sie bei Hutauruk, Sundermaier, Shermann, Niesen, Castles und bekannten anderen WissenschaftlerInnen .
Die engere religionswissenschaftliche Einordung des Toba-Batak mit ihren spezifischen Strukturen des altreligiösen Glaubens und der Batakschen Weltsicht hat Julia Linder eingebunden in die Systematik von Waldemar Stöhr bzw. erweitert durch Anicetus Sinaga christlichem Blick auf sein eigenes Volk. Stöhrs Schematisierung ist leider sehr grob und auf zu simplen Dichotomien seiner Zeit aufgebaut, taugt aber im Rahmen dieser Masterarbeit als Ausgangspunkt.
Es bleibt darauf zu warten, dass Johann Angerler in einer nächsten Publikation die Fehlinterpretationen seiner wissenschaftlichen Vorgänger-Generation differentiert und zusammenhängend aufarbeiten und neu darstellen wird. Bisher verfügen wir nur über allzu simple, westlich geprägte Interpretationen, die eine Zweiteilungen von Seelenstoff und Geist suggerieren und bei der Transformation derselben (Totenseele, Totengeist) gehörig ins Schleudern geraten.
Wir warten gerne ...
© Fotos: Ch. Schreiber, Singabaru, Karo-Batak 1989,
Musiker, Tanzende und Gäste beim Zweitbestattungsfest