Presse-Stimmen
"Gruselig" - Bonner General-Anzeiger
AbgelaufenWo Knochen so wertvoll wie Gold ist
Bad Honneferin Julia Linder schrieb ein Buch über die Zweitbestattung
Von Roswitha Oschmann; Foto: Homann
BAD HONNEF. Etwas gruselig wirkt der Buchumschlag durchaus. Der Titel "Zweitbestattung" würde ja bereits reichen, um von einem mulmigen Gefühl beschlichen zu werden. Aber Fotos von Schädeln mit tiefen Augenhöhlen, die aus großen Urnen lugen, heizen die Spannung noch zusätzlich an. Ein Krimi? Mitnichten!
Julia Linder hat sich vielmehr mit wissenschaftlicher Akribie einem Ritual in Sumatra gewidmet: der Zweitbestattung. Sogar auf der Frankfurter Buchmesse war die Honneferin mit ihrem Erstling vertreten.
"Ich war begeistert von der Kultur, von den Menschen um den Tobasee herum, die künstlerisch und musikalisch sehr talentiert sind. Diese Toba-Batak sind sehr laut, sehr direkt. Ich kam sehr gut mit ihnen klar." Eines der zentralen Feste der Batak ist das Zweitbestattungsritual. Es basiert auf der altreligiös verankerten Ahnenverehrung. Die Batak exhumieren besondere Vorfahren und bestatten sie innerhalb eines opulenten Festes neu in einem extra errichteten Grabmonument.
Die Vorbereitungen sind immens. Julia Linder beschreibt die vielen Schritte wissenschaftlich exakt, aber auch für den Laien nachvollziehbar und fesselnd. Sie schildert die Auswahl der auszugrabenden Persönlichkeiten. Die Verwandtschaftsbeziehungen der Vorfahren und der einzuladenden Gäste werden rekonstruiert. Denn: "Die genealogischen Zugehörigkeiten müssen bis ins Detail geklärt sein. Es darf beim Fest keinen Streit geben."
Nach der Planungsphase wird mit der Exhumierung der Gebeine begonnen. Die Suche nach den Gräbern, die sich stets außerhalb des Dorfes befinden, kann sich schwierig gestalten, je länger die Bestattung zurückliegt. Die Knochen werden fürsorglich behandelt, gereinigt, gestreichelt, gefüttert und gefärbt. Sie sind Indikatoren der Transformation der irdisch-physischen Existenz und für die Batak unglaublich wertvoll. Linder: "Sie werden mit Gold gleichgesetzt."
Fest mit Nahrungstausch, rituelle Tänze und traditionelle Musik
Die Bad Honneferin schildert den Verlauf des Festes mit Nahrungstausch, rituellen Tänzen und traditioneller Musik, mit Schlachtung des Opferbüffels und Fleischverteilung. "Die Gebeine werden dabei nicht angebetet, sondern in den Akt einbezogen." Die Umbettung erfolgt in aufwendig gestaltete Tugu, also steinerne, monumentale Grabmäler, oder in Steinurnen und Steinsarkophagen.
Julia Linder geht auch auf den Wandel dieses Brauchs durch missionarische und kolonialpolitische Interessen ab Mitte des 19. Jahrhunderts ein. Die Kolonialregierung verbot die Opferriten über 30 Jahre lang. Linder: "Das fiel unter Heidentum." Seit den 1950er Jahren tauchten die Rituale und Monumente wieder auf. Die These der Bad Honnefer Autorin: "Diese Ahnenverehrung war nie ganz weg, sondern in die Privatsphäre abgedrängt."
Sie erforschte auch die Entwicklung des Brauchs in der Neuzeit. "Er verschmilzt mit dem Christentum, die Riten bilden eine Melange. Die Zweitbestattungsrituale sind für die moderne Batak-Gesellschaft Höhepunkte der traditionellen batakschen Kultur und Fixpunkte der batakschen Identität im religionspluralistischen Umfeld." Die christlich-protestantische Batak-Kirche sieht in dem Aufleben der Zweitbestattung allerdings eine Rückkehr des Heidentums.
"Die Batak am Tobasee waren mir ein Herzensanliegen", erzählt Julia Linder über ihre Forschungsreise. Sie war dort auf sich allein gestellt. "Man muss sich durchbeißen und Geduld an den Tag legen. Die Uhren ticken dort anders. Die Leute wunderten sich, wenn ich zu meinen Studienzwecken auftauchte - aber positiv, man wird schnell eingeladen." Auch ihre Eltern, die an der Linzer Straße eine Fleischerei führen, besuchten sie am Tobasee, besichtigten die Monumente und hatten Spaß am Elefantenreiten im Dschungel.
"Zweitbestattung - bei den Toba-Batak in Sumatra", Sidihoni-Verlag, 144 Seiten, 27,80 Euro
Zur Person
Julia Linder (28) studierte nach dem Abitur am Gymnasium Nonnenwerth Asienwissenschaften sowie Religionen und Kunst in den Kulturen Asiens an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn. Zwischen Bachelor und Master legte sie ein Studium der indonesischen Sprache und Literatur in Medan, der Hauptstadt von Nordsumatra, ein. Derzeit ist sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Orient- und Asienwissenschaften der Uni Bonn und befindet sich in der Abschlussphase ihrer Promotion. Ihre Dissertation handelt vom modernen Buddhismus in Indonesien. Dazu hielt sie sich für zwei Jahre zu Forschungszwecken und als Dozentin in Indonesien und Malaysia auf.
Wir danken für die freundliche Genehmigung zum Nachdruck, © General-Anzeiger, 02.01.2016, Roswitha Oschmann, Foto: Homann und Bonner
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