Erschienen: 05.09.2007
Schwäbisches Tagbaltt
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Heilkunde und Zaubersprüche
Der Missionsarzt Johannes Winkler vertiefte sich in die Kultur der Toba-Batak auf Sumatra
TÜBINGEN (dhe). Der Arzt Johannes Winkler reiste zu Beginn des 20. Jahrhunderts für die Rheinische Missionsgesellschaft nach Sumatra. 24 Jahre lang arbeitete er in Indonesien. Winkler freundete sich mit einem Zauberpriester an, der als Patient zu ihm gekommen war, sammelte die kunstvoll gestalteten Schrifttafeln der Toba-Batak und lernte deren Sprache. Seinen Lebensabend verbrachte der Mediziner mit dem ethnologischen Blick in Tübingen.
Winklers Missionsstation Pearadja lag im Norden Sumatras, im Gebiet der Batak in der Nähe des Toba-Sees. Dort gewann er die Freundschaft des Heilkundigen Ama Batuholing. Dieser „Zauberdoktor“, wie Winkler ihn nannte, weihte den Missionsarzt in die Kunst ein, „Krankheiten im animistischen Sinne zu heilen“.
Er erläuterte dem Deutschen „Schrift und Bedeutung der Zeichnungen in den Zauberbüchern“ und führte den Freund sogar in die Rituale für die vielen Orakel ein, nach denen sich Unglück oder Segen vorhersagen, „die Wünsche der Geistermächte“ interpretieren und mit Hilfe des Zauberkalenders günstige oder ungünstige Tage berechnen ließen. Winkler schrieb schließlich ein Buch über die Kultur der Toba-Batak, die ihn so sehr faszinierte.
Orakel und Alltag
Darin schilderte der 1874 in Thüringen geborene Arzt auch ganz praktische Dinge wie Körperpflege, Nahrung, Landbau, Handwerk und Spiel. So kannte der „zu der malaiischen Rasse gehörende, im Herzen Sumatras wohnende Volksstamm der Batak seit alter Zeit das Schachspiel“, bemerkte Winkler. Zudem gab er Einblicke in die Missionsgeschichte und die Bedingungen der medizinischen Hilfe vor 100 Jahren. Wie bis heute bei Hilfsorganisationen üblich, bildete Winkler einheimische Helfer/innen als Hilfspfleger und Hebammen für die Missionsstation Pearadja aus. Den Unterrichtsstoff in Bataksprache musste er sich erst erarbeiten.
Sein Buch „Die Toba-Batak auf Sumatra in gesunden und kranken Tagen – Ein Beitrag zur Kenntnis des animistischen Heidentums“ erschien 1925 im Stuttgarter Belser-Verlag. Nun haben es Winklers Enkelin Helga Petersen und sein Urenkel Alexander Krikellis wieder zugänglich gemacht. Bei einem Treffen der weitverzweigten Familie Winkler vor kurzem im Tübinger Paul-Lechler-Krankenhaus stellten sie den Band vor. Sie reicherten ihn mit zahlreichen Fotografien an, fügten bislang unveröffentlichte Passagen des Originalmanuskripts ein und stellten eine Biographie ihres so vielseitigen Vorfahren zusammen. „Durch den täglichen Umgang mit der Bevölkerung verstand Winkler ihre Vorstellung von der alles durchdringenden Lebenskraft, die Menschen, Tiere und Pflanzen beseelt, die auch in unbeseelten Dingen steckt, in Werkzeugen und Steinen, selbst im Schatten, in der Pupille und im Spiegelbild des Wassers“, heißt es in Petersens einleitender „Spurensuche“.
„Die exotischen Dinge bei uns zu Hause faszinierten mich seit meiner Kindheit“, schreibt sie. „Von ganz besonderem Reiz aber waren für mich schon immer die beiden alten Batakschen Handschriften, die ,Zauberbücher’ aus gefaltetem Baumbast mit der geheimnisvollen Schrift und den rot-schwarzen Zeichen, die an Tiere und Menschen erinnern.“ Nach ihrem Berufsleben als Narkoseärztin reiste Petersen 2004 selbst nach Sumatra, „um nach Spuren meiner Vorfahren zu suchen“. Winkler kaufte den Batak unter anderem Körperschmuck, Zauberbücher und Kleidung ab – oder bekam sie geschenkt. Er trug mehr als 1300 Stücke zusammen und stellte sie dem Hamburger Museum für Völkerkunde zur Verfügung.
Winkler in Tübingen
„Johannes Winkler war von 1923 bis Ende 1932 Hausvater im Difäm“, erinnert sich der Tübinger Internist Axel Fritz. Sein Chef am Difäm war Prof. Gottlieb Olpp, der in China ebenfalls als Missionsarzt gearbeitet hatte. Winkler gab in Tübingen Kurse in Tropenmedizin – nicht nur für Ärzte und Krankenschwestern, sondern auch für Missionare. „Sie mussten medizinische Grundkenntnisse haben, mussten eine Wunde nähen und verbinden sowie Geburtshilfe leisten können“, sagte Petersen. Axel Fritz lernte 1952 bei Winkler in dessen Tübinger Haus in der Hermann-Kurz-Straße die Bataksprache. Denn im Jahr darauf reiste Fritz selbst nach Fernost, um im Auftrag der indonesischen Regierung am Krankenhaus von Tarutung zu arbeiten. Johannes Winkler starb am Karfreitag 1958 in Tübingen. Er wurde auf dem Bergfriedhof begraben.
Bild: (c) Anne Faden
Autorin: Dorothee Hermann
INFO Das Buch „Religion und Heilkunst der Toba-Batak auf Sumatra – Überliefert von Johannes Winkler“ ist im Rüdiger Köppe-Verlag zu Köln erscheinen. Herausgeber sind Helga Petersen und Alexander Krikellis. Der Band hat 453 Seiten, ist gebunden und kostet 29,80 Euro.
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