Detaillierte Berichte direkt vom MILAS-Team jetzt als Rundbrief. 09.06.06
Die Hilfe, die die Helferinnen und Helfer des MILAS in Yogyakarta für die Erdbebenopfer leistet, sprengt fast das Menschen-Mögliche. Und doch ist sie herzlich, persönlich, nah und direkt…
Ich selbst, Christine Schreiber, habe derzeit von Wurmlingen aus nur bescheidenen Einblick in diese umfassenden Entwicklungen. Deshalb freue ich mich sehr, daß der Ethnologe Thomas Stodulka in enger Zusammenarbeit mit dem MILAS-Team einen umfassenden MILAS Info-Brief erstellt hat. Fortan wird der Newsletter regelmäßig erscheinen.
Wer ihn fortan erhalten möchte, wende sich bitte direkt an Herrn Stodulka
Thomas Stodulka
Stadtplatz 11
84529 Tittmoning
0179/7070485
Yogyakarta und Tittmoning, 09. Juni 2006, Rundbrief I
Liebe Freunde des MILAS,
zuerst möchte ich Euch im Namen Ebbys, der Mitarbeiter des MILAS, des KINOKI und zahlreicher weiterer Freiwilliger für Eure finanzielle und moralische Unterstützung danken. Der spontan ins Leben gerufene Posko (Koordinationszentrum für die Erdbebenhilfe) Milas läuft seit dem Erdbeben am 27. Juni auf Hochtouren 24 Stunden am Tag. Die Helfer scheinen seither nicht nur ihr Möglichstes, sondern vielmehr Unmögliches zu leisten. Und durch Eure weitere Hilfe und Unterstützung ist es möglich genauso weiterzumachen...
Doch bevor ich mit unserem ersten und ab nun wöchentlichen MILAS-Bericht fortfahre, möchte ich mich selbst kurz vorstellen. Wie diejenigen unter Euch, die Ebby persönlich kennen, wissen, gehört das Internet und seine virtuelle Welt nicht gerade zu ihren besten Freunden. Daran kann weder ein Erdbeben, noch der vor sich hin brodelnde Merapi etwas ändern. Und da sie angesichts der momentanen Situation in Yogyakarta ohnehin nicht alles alleine bewältigen kann, kam uns die Idee in den Sinn, nicht nur die Aufgaben vor Ort, sondern auch hier in Deutschland gemeinsam anzugehen. Keineswegs als eine Last oder Verpflichtung, sondern vielmehr als eine Dankbarkeit an der kollektiven Arbeit teilnehmen zu dürfen, empfinde ich es nun die wöchentlichen Berichte schreiben, und als Kontaktperson für Rückfragen oder Infos in Deutschland zur Verfügung stehen zu dürfen. Von Ebby die liebsten Grüsse, ein dickes DANKE und die Entschuldigung, dass es ihr aufgrund der momentanen Situation leider nicht möglich ist, auf alle Anfragen persönlich zu antworten.
Kurz zu mir: Mein Name ist Thomas Stodulka, ich bin von Beruf angehender (angewandter) Ethnologe und Dokumentarfilmer (in erster Linie aber ein Freund der Menschen in und um das Milas) und kenne Ebby, das Milas und die „Kids“ dort seit fünf Jahren. Wie viele unter Euch hat mich das Milas sofort in seinen Bann gezogen und bis heute nicht mehr losgelassen. Letzten Sommer habe ich gemeinsam mit vielen der Mitarbeiter des heutigen Posko Milas das alternative Programm- und Bildungskino KINOKI gegründet. Seitdem stehen wir alle in einem engen telefonischen Kontakt. Dieser hat sich seit dem Erdbeben weiter intensiviert und wir telefonieren alle drei Tage miteinander. Mitte Juli werde ich selbst nach Yogyakarta fliegen, um den Posko zu unterstützen. So, nun zum wichtigen ...
Wer könnte den Einstieg in die erste MILAS-Info besser gestalten als Ebby und die Helfer vor Ort selbst? Es folgt eine Übersetzung ihres ersten "Berichtes" vom 06.06.2006 aus dem Englischen:
Samstag, der 27. Mai 2006, sechs Uhr morgens. Ein Erdbeben erschüttert Yogyakarta
Das Restaurant und die Gebäude des Open house für die Straßenkinder stehen noch, haben aber viele Risse und wurden als unsicher erklärt. Die Menschen treffen sich in der Bambushütte davor und im Garten. Alle regulären Aktivitäten werden eingestellt, zum Glück war niemand während des Erdbebens in diesen Häusern. Der Fokus des Milas verschiebt sich sofort auf diejenigen, die vom Erdbeben direkt getroffen wurden. Das Milas wird zum Posko Milas (Posko = Co-ordination Centre).
Das wichtigste ist zunächst die Grundbedürfnisse der Betroffenen zu befriedigen. Die erste Einkaufstour findet am Sonntag, den 28. Mai statt. Lebensmittel, Medikamente, Wasser, Babynahrung, Zelte und Decken werden in den Gebieten verteilt, die bisher von niemandem Hilfe erfahren haben – die Informationen stammen von einer lokalen Radiogruppe. Die Verteilung erfolgt durch Autos und Motorräder, manche der Betroffenen kommen selbst zum Posko Milas. Spontane finanzielle Unterstützung wird auch anderen Organisationen zuteil, die das Milas kennt, und dem es vertraut. Die Unterstützung verlagerte sich in den ersten Tagen von der Grundversorgung, über diejenige der Mütter und Kinder zu Küchenutensilien und Werkzeug. Die Unterstützung des Milas ist ständig im Wandel und richtet sich nach den täglichen Bedürfnissen der Menschen. Die Grundversorgung mit Reis, frischem Gemüse, Babynahrung, Zelten und Decken wird permanent beansprucht. In manchen Gegenden gibt es auch über eine Woche nach dem Beben noch keinen Strom. Deshalb wurden dort Taschenlampen ausgegeben, um die Sicherheit der Menschen angesichts zunehmender Diebstähle und Plünderungen zu gewähren.
Der Posko Milas besteht aus einem Kernteam von 10 Helfern und zahlreichen Freiwilligen. Er ist 24 Stunden am Tag geöffnet, um diejenigen in den am schlimmsten betroffenen Gegenden Bantul/Klaten, genauso wie die Nachbarn des Milas und die Bewohner der Stadt Yogyakarta zu versorgen.
Der Posko Milas steht in ständigem Kontakt mit anderen Organisationen/Individuen, so dass die Hilfe so aufgeteilt wird, um den Menschen schnell zu helfen. Die Hilfe erfolgt direkt und ohne „Mittelsmänner“, die von der Situation profitieren könnten. Das Ziel ist es schnell, direkt und ohne bürokratische Haarspaltereien (wie es der bisherige Weg der lokalen Regierung ist) zu helfen. Die Freiwilligen erkunden erst die jeweiligen Gebiete, um mit den Ortsansässigen zu sprechen und herauszufinden, was wirklich benötigt wird, und kehren später mit eben diesen Gütern zurück.
Ein weiterer Bericht des befreundeten Ethnologen Eric Heuser, der im Moment in Yogyakarta arbeitet, dokumentiert die Situation im Milas am 02.06.2006 wie folgt:
2. Juni 2006, Yogyakarta
Wir sitzen im Hinterhof von Milas, von dem man nun einen direkten Blick auf die Stasse hat, da die Grenzmauer durch das Erdbeben eingestürzt ist. Auch der Hinterhof ist sehr mitgenommen, alles Wichtige wurde nach draußen in den Garten geschleppt. Die Bambushütte, in der noch ein paar Tage zuvor zwei Tische standen, an denen man auf dem Boden sitzend essen konnte, ist nun Umschlagplatz für Güter und Hilfslieferungen. Alles wird hier ohne bürokratische Prozesse umgesetzt, es gibt lediglich eine minimale Buchführung um nachvollziehen zu können, von wem das Geld kommt und wohin es geht. (...) Das Arbeiten in der Gruppe scheint eine wirksame Methode zu sein, mit dem Erlebten umzugehen, die Leute hier wirken ruhig und nicht gestresst. Sie nehmen sich zwischen dem Wegräumen und Packen Zeit, in Ruhe eine Zigarette zu drehen und sie mit ihren Freunden rauchen und dabei ein Gespräch zu führen. So ist dieser Posko, wie sicherlich viele andere, nicht nur zu einem Ort geworden, an dem Hilfslieferungen für den Süden gesammelt werden, hier wird man ebenso emotional aufgefangen.
Momentan arbeiten hier ca. 25 Leute (...). Im Schatten (...) arbeiten Leute, um die heil gebliebenen Ziegel auszusortieren. Andere im Garten sind damit beschäftigt, Pakete zu packen, die dann zu Erdbebenopfern geschickt werden. Im Garten stehen ein paar Stühle und ein Tisch, daneben gibt es einen Gaskocher mit zwei Platten und einen Tisch, auf dem sich Getränke befinden. Das Milas Gebäude ist stark beschädigt mit großen Rissen in den Wänden und kann nicht mehr benutzt werden. Daher findet des gesamte Leben nun draußen statt, es wird gekocht, diskutiert und sich ausgeruht- alles unter freiem Himmel.
(...) Wir fragen uns, wie es sein kann, dass noch immer ganze Regionen von internationaler Hilfe abgeschnitten sind. Erfahrungsberichte aus dem Süden lassen uns wissen, dass viele der Organisationen nicht in den kleinen Orten angekommen sind und die Menschen dort nach 7 Tagen noch immer auf Hilfe warten. Wir selbst haben mit 4 Leuten damit begonnen, verschiedenen privaten Hilfsaktionen zu helfen. Davon gibt es mittlerweile eine ganze Menge, denn viele der Überlebenden wollen helfen, aber die Koordination ist oftmals schlecht.
Ohne Euch mit weiteren Schilderungen und Informationen überfrachten zu wollen, möchte ich noch einige wenige Aspekte hinzufügen, die ich mir während der Telefonate mit Ebby und weiteren Mitarbeitern notiert habe, und die mich besonders beeindruckt haben:
Das Milas scheint sich in den neun Jahren, in denen es mittlerweile als Treffpunkt und Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche, die auf der Straße leben, indonesische Studenten, sozial, politisch und künstlerisch Engagierte, interessierte Touristen oder Künstler dient, einen Ruf erarbeitet zu haben, von dem die Arbeiter dort vielleicht selbst überrascht sein dürften. Es schien nicht einmal einen Tag zu dauern bis das Milas nach dem Erdbeben zu einem Posko wurde, der andere unterstützt. Nicht nur die unmittelbaren Nachbarn suchten sofort Hilfe beim Milas, sondern auch die Kirchen schicken Bedürftige oder eigene Mitarbeiter dorthin. Die Menschen in Yogya scheinen dem Milas nicht nur zu vertrauen, sondern schätzen es als einen Fels in der momentan rauhen Brandung. Wie Eric in seinem Bericht schrieb, ist der Posko Milas nicht nur ein Spenden- und Koordinationszentrum, sondern ein Ort an dem sich Menschen, die nahezu alles an materiellem Besitz verloren haben begegnen, und sich immer wieder emotional auffangen. Dieses Vertrauen, das dem Posko entgegen gebracht wird, resultiert auch aus seiner Unkompliziertheit und spontanen Bereitschaft sofort und bedingungslos Verantwortung zu übernehmen. Menschen, die etwas benötigen und deswegen zum Milas kommen, bekommen es auch. Keine überflüssigen Güter, aber die Grundnahrungsmittel, und die Hilfe und die Mittel zur Selbsthilfe. Die Ideen der Mitarbeiter des Posko orientieren sich an dem Bedarf der Menschen und nicht an theoretisch ausgefeilten medial repräsentativen Luftschlössern. So rief das Milas auch spontan 2 Kochstellen in benachbartem Wohngebiet ins Leben, die täglich jeweils 100 bis 200 Essen kochen, die von den Milas-Freiwilligen dann in die entlegenen Gebiete gefahren werden, die auch heute noch kaum nationale oder internationale Unterstützung erfahren. Außerdem unterstützt der Posko eine öffentliche Küche (dapur umum), die dann selbständig benachbarte Wohngebiet mit Essen versorgt.
Die Versorgungsfahrten des Posko Milas selbst gestalten sich folgendermaßen:
Es gibt zwei Autos, die permanent benutzt werden können, vier stehen auf stand-by zur Verfügung, und es besteht ein Zugang zu bis zu 10 Autos gleichzeitig. Die Mitarbeiter des Posko fahren in zwei Touren vor allem in die entlegensten Dörfer nahe des Epizentrums des Bebens: Die erste erfolgt um 5 Uhr morgens, die zweite nachmittags. Nachts wird nicht mehr gefahren, weil es zu gefährlich wäre, da sich unterschiedliche Gruppen auf die nächtliche Plünderung der Transportfahrzeuge spezialisiert zu haben scheinen.
Es bleibt zu hoffen, dass der Vulkan Merapi beschwichtigt werden kann, damit die Menschen in der Region um Yogyakarta von einer weiteren Naturkatastrophe verschont bleiben. Ich zolle den Mitarbeitern des Posko Milas, den Bewohnern der Region und allen, die uns weiter unterstützen möchten all meinen Respekt, und verbleibe bis zum nächsten MILAS-Info nächste Woche mit
Lieben Grüssen
im Namen des gesamten Posko Milas-Teams.
Wer den Posko Milas weiterhin auch finanziell unterstützen möchte findet das Spendenkonto unter folgendem Beitrag auf dieser website:
>>> Erdbebenhilfe direkt und unbürokratisch!