Prof. em. Dr. Hans Dieter Kubitscheck, Berlin, Mai 2009
GUTACHTEN 'cum laude'
zur Dissertation Johann Angerler: „Bius, parbaringin und panarian. Über Demokratie und Religion bei den Tobabatak Nordsumatras“ (Universität Leiden 2009)
Die Batakvölker haben wesentliche Elemente ihrer traditionellen politisch-sozialen Strukturen weitgehend bewahren können, ohne zur Bildung eigener Staaten gelangt zu sein, andererseits aber durch Assimilierung zum Malaientum eine offensichtlich nicht unerhebliche Bevölkerungskomponente in diese politischen Gemeinwesen eingebracht, vor allem an der Ostküste Sumatras. Den Tobabatak in ihren relativ isolierten so genannten Kernländern galt deshalb seit Beginn der wissenschaftlichen Erforschung Indonesiens die besondere Aufmerksamkeit von Historikern und Ethnologen.
Angerler hat dazu einen neuen und bemerkenswerten Beitrag geleistet. Die Arbeit ist grundsätzlich faktenorientiert und hebt sich dadurch wohltuend von manchen hypothetischen Konstruktionen auf hoher wissenschaftlicher Abstraktionsebene ab, die auf diesem „Studienfeld“ anzutreffen sind. Das Quellenmaterial wird kritisch nach historischen Kriterien analysiert, wobei man der Periodisierung des Autors (siehe dazu die Einleitung) zustimmen kann, zumal es dazu gegenwärtig keine überzeugende Alternative gibt.
Die vorliegende Dissertation soll unter folgenden Gesichtspunkten beurteilt werden: (erstens) der objektive wissenschaftliche Erkenntniszuwachs, (zweitens) der wissenschaftliche Diskurs von Fakten und Theorien und (drittens) der Aufbau der Dissertationsschrift.
Die sich über fast zwei Jahrzehnte erstreckenden Feldforschungen Angerlers verdienen große Anerkennung sowohl hinsichtlich ihrer Intensität als auch in Bezug auf die ausgewiesenen Ergebnisse. Das betrifft in erster Linie den Standort Sihotang, schließt aber viele themenbezogene Querverweise ein, die durch die profunden Sprach-, Literatur- und Sachkenntnisse des Doktoranden zugänglich gemacht werden. Der Wert für den Batak-Spezialisten besteht in der akribischen Beschreibung und Analyse vieler Details aus Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur und Religion der Tobabatak. In dieser Hinsicht ist die vorliegende Dissertation ein wichtiges Kompendium der Batak-Forschung.
Schwerpunkte der Untersuchung sind Glaubensvorstellungen und religiöse Praktiken sowie die Landwirtschaft unter besonderer Berücksichtigung des Bewässerungsbodenbaues. Das unter der Rubrik „Religion“ zusammengetragene Material ist für die Forschung eine wahre Fundgrube und bereichert die Religionswissenschaft in vieler Hinsicht über die konkrete Themenstellung der Dissertation hinaus. Angerler zeigt die fließenden Grenzen zwischen der spirituellen und der profanen Welt des Bataktums auf, und zwar mit Blick auf die Funktion der parbaringin: Diese sind nicht nur Hüter der Religion, sondern haben darüber hinaus als geistige Führungskräfte gemäß ihrer Herkunft gegenüber der Gemeinschaft viele praktische Aufgaben und Verpflichtungen. Das bezieht sich unter anderem auch auf Aktivitäten in der Landwirtschaft, in der nach Angerler die parbaringin sogar „zweifellos“ als „Irrigationsmanager“ fungierten (S. 335). Mit Blick auf den Status der parbaringin in der Gesellschaft verdient die Interpretation des sahala-Begriffs in Kapitel 11. besondere Beachtung.
Die Verbindung der parbaringin-Organisation, arbeitsteilig ergänzt durch andere („säkulare“) Funktionsträger mit dem (oder der) bius als der wichtigsten territorialen Institution der Tobabatak ist das herausragende Forschungsergebnis Angerlers. Seine bius-Studie unter Einbeziehung der bisher kaum beachteten panarian-Organisation ist ein exzellenter Versuch, die älteste, durch Quellen belegbare territoriale Struktureinheit der Tobabatak zu rekonstruieren. Die von ihm in diesem Zusammenhang formulierten Ordnungsprinzipien (vgl. S. 325ff., 391ff.) sind ein ausgezeichneter Forschungsansatz. Obwohl mancher Aspekt auf Grund der schwierigen Quellenlage sicherlich diskussionswürdig ist, findet die hier vorgestellte bius-Studie die uneingeschränkte Anerkennung des Gutachters. Der Forschung werden dadurch neue Perspektiven und Fragestellungen eröffnet.
Dass es sich bei der parbaringin/bius-Organisation um Relikte einer tribalen Gesellschaft handelt, steht wohl außer Frage. Die funktionale Einordnung dieser archaischen Strukturelemente gibt allerdings m. E. zu weiteren Überlegungen Anlass. Die Batak bildeten bereits zu Beginn ihrer Erforschung keine klassischen Stammesgesellschaften mehr, sondern ihre Ethnien hatten sich zu zahlenmäßig starken Völkern entwickelt (im Deutschen kann man dafür den Begriff „Völkerschaft“ verwenden). Alte tribale Organisationsmuster, basierend auf dem charakteristischen batakschen Deszendenz- und Allianzsystem, blieben als grundlegende Bausteine erhalten. Die Völkerschaften umfassten ein durch Migrationen entstandenes Konglomerat vieler exogamer Gruppen (marga), sozusagen „Wucherformen“ ehemaliger Klans der alten Stammesgesellschaft. Sie hielten am Modell der tradierten Beziehungen fest und bildeten als bius (Immitation „Stamm“) und horja (Immitation „Klan“) ein modifiziertes Abbild der alten Stammesordnung. Der Gutachter versteht darunter eine Art „Pseudotribalismus“, der sich unter posttribalen Verhältnissen an tradierten Mustern einer früher existierenden Stammesgesellschaft orientiert.
Anders dagegen Angerler, der in Anlehnung an Sitor Situmorang (der eine idealisierte Weltsicht des Bataktums propagiert) in der parbaringin/bius-Organisation sozusagen den Archetyp der batakschen sozial-politischen Ordnung sieht. Dieser hat als das typische „Modell der klassischen bius-Organisation“ auch durch Migranten weitere Verbreitung gefunden (siehe dazu S. 434). Die Überlegungen Angerlers gehen in eine andere Richtung: Wenn die Tobabatak – fragt er – seit alters über solch ein relativ entwickeltes und gut funktionierendes Regierungssystem verfügten, warum sind sie dann trotz bester Voraussetzungen nicht zur Bildung von Staaten gelangt? Um gleich die Antwort darauf zu geben: Weil sie im Rahmen dieser Ordnung traditionell einer demokratischen Gesinnung anhingen.
Staatsbildung und Demokratie sind weitere zentrale Schwerpunktthemen, letztere sogar im Untertitel der Dissertationsschrift hervorgehoben. Dazu sind einige Anmerkungen erforderlich. Die politisch-soziale Funktionstüchtigkeit der parbaringin/bius-Organisation kann vorausgesetzt werden. Und sicherlich auch solche Faktoren wie - neben anderem - der Legitimitätsgedanke und das kosmologische Weltbild, territoriale Grenzziehungen, eine gewisse politisch-soziale Differenzierung sowie auf dem Gebiet der Ökonomie die Erwirtschaftung eines gesicherten Mehrprodukts, insbesondere dort, wo der bewässerte Reisanbau die Grundlage dafür bildet.
Zu den Kriterien einer sich konstituierenden Gemeinschaft staatlichen Charakters gehören aber noch andere Faktoren, die in der vorliegenden Arbeit nicht oder nur beiläufig behandelt werden. Das sind beispielsweise die sich entwickelnde Klassenstruktur, Geld- und Marktwirtschaft, außerdem in der Ökonomie neben der produktiven Sphäre Zirkulation und Distribution, insbesondere die Verteilungsprinzipien bei der erweiterten Reproduktion (sofern überhaupt vorhanden), ökonomische Arbeitsteilungen und anderes mehr. Neben diesen internen Entwicklungsbedingungen sind die externen Faktoren im Prozess der Staatenbildung zu berücksichtigen.
Was die Konzentration von politischer und physischer Macht angeht, bestand bei den Batak in der Tat ein gravierendes Defizit. Es erklärt sich unter anderem dadurch, dass das Untersuchungsgebiet in vor- und frühkolonialer Zeit eine Randzone des historischen Geschehens bildete und auch abseits der großen Handelsrouten lag. Die von Angerler erwähnte Verzahnung des Binnenhandels mit dem regionalen und überregionalen Handel kann man unter dem Aspekt der Staatenbildung (Kapitalakkumulation, Kaufleute und Händler, Häfen und Städte) als marginal vernachlässigen. So genannte hydraulische Organisationsformen, von Angerler in Kapitel 10. instruktiv und überzeugend dargestellt, sind für die bius-Gemeinschaften ohne Zweifel von großer kommunaler Bedeutung, aber wohl doch in ihren räumlichen Dimensionen begrenzt. Sie werden auch nicht zum Ausgangspunkt eines weiterreichenden baulichen Potenzials (um mit Wittfogel zu sprechen), das für „hydraulische Gesellschaften“ charakteristisch sein soll. Von diesen Gemeinschaften konnte offensichtlich kein besonderer staatenbildender Effekt ausgehen. Vor allem aber fehlte ein stimulierender Impetus, der bei der Staatenbildung in ganz Südostasien von Bedeutung war: die Indisierung, verbunden mit der - auch aktiven - Aufnahmebereitschaft der sich entwickelnden staatsbildenden Elite, der herrschenden Klasse. Im Batakland konnte in diesem Zusammenhang von wirklich intensiven Kontakten keine Rede sein.
Angerler greift hier eine wichtige Thematik auf. Entgegen seiner sonstigen souveränen Beherrschung der Fachliteratur wäre zu dieser Thematik eine weiterreichende Vertiefung wünschenswert, die über Castles, Carneiro, Wittfogel (der im Literaturverzeichnis fehlt) hinausreicht. Ein entscheidendes Element und Kriterium der Konstituierung eines funktionierenden Staatswesens ist sein Machtmonopol, das sich in der Regel unter bestimmten äußeren Einflüssen herausbildet. Bei den Batak behalten jedoch letztendlich die realen Verhältnisse der tradierten Gesellschaftsordnung vor Ort die Oberhand, während ein entscheidender äußerer Anstoß ausbleibt. Auch die so genannten Padrikriege hatten keinen dementsprechenden Effekt. Zu untersuchen wäre in diesem Zusammenhang die Funktion stammesgesellschaftlicher Mechanismen, die z. B. durch Prestigeobjekte, Opferfeste und andere Formen sozialer Regulative eine zu große Akkumulation von Reichtum und Macht verhindern sollten.
Die Tatsache, dass die Batak nicht zur Bildung eigener Staaten gelangt sind, überrascht angesichts der genannten internen und externen Faktoren nicht. Die Batak beharrten in ungebrochener Kontinuität auf altbewährten und vertrauten Traditionen, verbunden mit einem tief verwurzelten Bewusstsein ihrer ethnischen Identität. Dieser Aspekt ist noch heute von großer Bedeutung, wozu Angerler selbst viele Beispiele anführt.
Er interpretiert die Staatenlosigkeit in der Geschichte der Batak jedoch mehr als einen Akt bewussten Agierens, indem er ihnen einen genuinen „Willen zur Demokratie“ attestiert, abweichend von der „westlichen Form der modernen Demokratie“ (S. 425). Dazu ist zu bemerken, dass Verbindungen mit alten gentilen oder patriarchalischen Gesellschaften bzw. die Rückbesinnung auf entsprechende Traditionen allenthalben vorkommen, und zwar ohne Ausdruck einer bestimmten Ideologie zu sein. Wurzeln der Demokratie sind erst in politischen Gemeinwesen staatlichen Charakters relevant und als solche zu bewerten, ansonsten bleiben sie eine Allerweltserscheinung. Es fällt in diesem Zusammenhang auf, dass Angerler nicht die naheliegende Diskussion zu der unter Sukarno beinahe wie eine Staatsdoktrin postulierte uralte, angeblich vorwestliche „indonesische Demokratie“, wie sie vor allem in der Gemeindeorganisation praktiziert wurde, aufgreift. Parallelen bieten sich auf jeden Fall an.
Nun muss man aber gerechterweise konzedieren, dass die zusätzliche Aufnahme weiterer Aufgabenstellungen den ohnehin für eine Dissertation kaum noch überschaubaren Rahmen vollends sprengen würde. Denn das ist in der Tat ein Problem der vorliegenden Arbeit: Sie ist eine Kombination von klassischer Monographie, Fallstudie und Spezialuntersuchung – eigentlich Stoff genug für mehrere Hochschulschriften. Der Aufbau sollte bei einer – sehr wünschenswerten – Veröffentlichung noch einmal überdacht werden, Straffung und Kürzungen nicht ausgeschlossen (auch wenn der Autor sich demgegenüber noch verschließt – siehe dazu die Einleitung). Nur unter diesen Voraussetzungen ist an eine englischsprachige Übersetzung zu denken. Sie wäre zu empfehlen; denn die vorliegende Arbeit verdient nicht das Schicksal mancher Beispiele in deutscher und niederländischer Sprache auf dem Gebiet der Batakologie, die leider nicht die ihnen angemessene Beachtung in der internationalen Wissenschaft gefunden haben. Der Leser vermisst bereits jetzt ein Summary und die Vita des Autors (abgesehen von den Bemerkungen in der Einleitung; zudem verrät die häufige Verwendung des ungewohnten „weiters“ den Österreicher). Auch ein Sachindex ist unbedingt erforderlich, und trotz der - durchaus nachzuvollziehenden - Bedenken (S. 29) wäre ein Glossar ein großer, allerdings mit sehr viel zusätzlicher Arbeit verbundener Gewinn.
Diese Wunschliste (auf noch vorhandene sprachliche und stilistische Mängel in der jetzigen Manuskriptfassung hat der Autor selbst hingewiesen) soll die Verdienste des Verfassers nicht schmälern. Der Gutachter ist außerordentlich beeindruckt von der vorliegenden wissenschaftlichen Leistung, die viele Arbeitsgebiete der Batakologie bereichert, bestimmte festgeschriebene Positionen wieder in Frage stellt und neue erschließt wie kaum ein anderes Werk in den vergangenen Jahren. Die Methoden und Resultate der Feldforschungen sind offensichtlich korrekt. Ihre Interpretation und Diskussion vor dem Hintergrund der Fachliteratur ist überzeugend und verdient allen Respekt. Das betrifft insbesondere die verschiedenen Aspekte der Batakgesellschaft. Darüber hinausgehende, z. T. auch hier aufgeworfene Fragen, regen zu weiteren und vertiefenden Diskussionen an.
Ich befürworte uneingeschränkt die Bewertung der vorgelegten Dissertationsschrift mit dem Prädikat „cum laude“.