Erschienen: 21.01.2005 Seite: 38
© Schwäbisches Tagblatt
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Mit landestypischen Häusern helfen
Die Wurmlinger Ethnologin Christine Schreiber berichtet von Sumatra und Nias
WURMLINGEN (gef). Einblicke in die sozialen, kulturellen und politischen Verhältnisse Indonesiens gab die Wurmlinger Ethnologin Christine Schreiber, 44, im Gespräch mit unserer Zeitung. Auch sie hat eine Empfehlung für Spenden in das vom Seebeben heimgesuchte Katastrophengebiet: Es geht um ein Hausbauprojekt auf der Insel Nias. Noch dringender bräuchte die Provinz Aceh im Norden Sumatras Hilfe, doch dort sind die politischen Verhältnisse schwierig.
Nias, eine der Sumatra vorgelagerten kleineren Inseln, kam nach der Katastrophe hier zu Lande ins Gespräch, weil Bischof Gebhard Fürst um Spenden bat für die Franziskanerinnen, die dort mehrere Missionsstationen unterhalten; auch die Sternsingeraktion sammelte dafür. Nias ist 240 Kilometer lang und 80 Kilometer breit, berichtet Christine Schreiber; 800000 Menschen leben dort, zu 95 Prozent sind es Christen, meist Protestanten. Weltweit hat das kleine Eiland bei Surf-Sportlern einen Ruf wegen der Bucht von Lagundri.
Von der Flutwelle seien auf Nias die Muslime sehr getroffen wurden, denn sie lebten als Fischer zumeist an der Küste, erzählt Schreiber. "Die haben fast alles verloren, die Christen wohnen im Landesinneren und auf Hügeln." Knapp 280 Tote wurden auf Nias gezählt.
Nicht nur die Kirche lenkt Hilfe nach Nias. Über den Kapuziner-Orden gibt es eine Partnerschaft der Stadt Münster. Stadt und Landkreis Böblingen starteten eine kommunale Aktion "Hilfe für Nias". Schreiber: "Nias ist fast überversorgt." Sogar aus der Mitte Sumatras komme Unterstützung von Christen aus einem der ehemals touristischen Zentren Indonesiens, dem Toba-See, der durch eine
Vulkanexplosion entstanden ist.
Im Gespräch mit den Ahnen
Dort hielt sich Christine Schreiber, die in Tübingen Ethnologie, Empirische Kulturwissenschaft und Vergleichende Religionswissenschaft studierte, ein Jahr lang zur Feldforschung auf. Insgesamt lebte sie dreieinhalb Jahre in Südostasien. Sechs Batak-Völker gebe es im Hochland Sumatras, kulturell dominieren die Tobo Batak etwas. Es seien Ureinwohner, die bis heute die Megalithen-Kultur pflegen. Sie gedenken Ihrer Verstorbenen durch das Aufstellen von steinernen Denkmalen, durch Zweitbestattungen, und sie bleiben im Gespräch mit ihren Ahnen. Schreiber wurde in einen Clan aufgenommen.
Die Batak sind nach 1864 von der Vereinten Evangelischen Mission, später durch die holländischen Kapuziner zum christlichen Glauben gebracht worden. Daher auch kommt ihre gute Ausbildung. Etwa 2500 Batak leben hier; als Clan-Mitglied ist die Ethnologin mit dem informellen kulturellen und sozialen Netz der Toba-Batak in Süddeutschland verbunden.
Ein neues Batak-Haus, ein Replikat der traditionellen Wohngebäude am Toba-See, Sumatra, und ein Projekt von Christine Schreiber (Vierte von links). Die Pfahlbauweise als Schutz gegen Erdbeben prägt auch die Häuser auf Nias.
Schreiber half bei einem ihrer Forschungsaufenthalte am Toba-See, die Nachbildung eines traditionellen Hauses aufzubauen. Die Häuser stehen erdbebenfest auf Stelzen und sehen einem alten Schiff sehr ähnlich (siehe Foto). Diese Architektur sei dem feucht-heißen Klima nahe dem Äquator angepasst, erzählt die Wurmlingerin; die Fußböden, auf denen die Menschen schlafen, seien durch die Unterlüftung trocken. "Und die Büffel passen auch unters Dach, wenn‘s stark regnet." Über ihre gesammelten Studien und Erfahrungen hat Christine Schreiber ein Buch geschrieben und will es mit 120 Farbbildern versehen. Freilich fand sie bisher nur Verleger, die die Arbeit lobten, aber das finanzielle Risiko nicht eingehen.
Wegen ihrer indonesischen Häuslebau-Erfahrung hat Schreiber Sympathie für ein Hilfsprojekt, das der Hamburger Pensionär Rolf Petersen für Nias initiiert hat. Petersen ist Schiffsbauer und brachte vor 40 Jahren als Entwicklungshelfer ein Schiff für den Verkehr zwischen den westindonesischen Inseln dorthin. Zehn Jahre war er auf Nias tätig für den Dienst in Übersee. Er baute eine Techniker-Ausbildungsschule auf, auch habe er für die Wasserversorgung gearbeitet und für alternative Energiegewinnung. "Ein ganz geschäftiger Mann" sei Petersen, er spreche etliche Landessprachen und kennen sich bestens in der Kultur aus.
Spenden für gesunde Häuser
Nach dem Seebeben liefen bei Petersen in Hamburg "die Drähte heiß", sagte Schreiber. Er habe sich gleich mit dem niassischen Architekten Irwan Telaumbanua und dessen Schwester zusammengesetzt und Pläne gemacht für ein leicht zu errichtendes, "Gesundes Wohnhaus". Es steht auf Stelzen, wie die traditionellen Häuser (die Kultur auf Nias ist der der Batak am Toba-See ähnlich), und es hat unter einer Art Schleppdach einen Vorratsbehälter für Frischwasser. Petersen, der seit Dienstag auf Nias ist, schrieb in einer Rundmail an seine Freunde: "Es gilt zu verhindern, dass mit viel Geld durch Unternehmer von Sumatera oder Java minderwertige Barackensiedlungen entstehen, wie vor drei Jahren nach der großen Erdrutschkatastrophe auf Nias."
Die Häuser können nach Petersens Angaben naturnah erstellt werden mit Baumaterialien, die dort auf Nias und den zahlreichen kleinen Nachbarinseln vorhanden sind. Wenn alle Materialien dafür gekauft werden müssten, komme ein Haus auf 3000 Euro Materialkosten. Ein Problem wird sein, Land für die Häuser zu bekommen. Denn offenbar sind Teile des vom Tsunami stark zerstörten Westens und Nordwestens der Insel nach dem Seebeben ein, zwei Meter abgesunken. Das Wasser gehe nicht mehr zurück, von Lagerhäusern schaut nur noch der First über die Meeresoberfläche. Und Landstreitigkeiten seien dort immer noch "Grund Nummer eins für Morde", sagt Schreiber.
Petersen hat ein Spendenkonto für die Nias Direkthilfe eingerichtet. Seine Tochter Ina Meyer zu Uptrup wurde auf Nias geboren und lebt lebt jetzt in Berlin; sie hat das Hausprojekt allen Bundestagsabgeordneten per Brief vorgestellt und um Spenden gebeten.
Vielleicht sind es nicht die großen Hilfsorganisationen, die sich um Nias kümmern, aber dort ist trotzdem vergleichsweise viel Geld für den Wiederaufbau wegen der christlichen Bezüge. Viel schwieriger wird die Hilfe nach Schreibers Einschätzung in Aceh, das am schlimmsten von der Flut betroffen ist. Mehr als 100000 Tote wurden bisher allein aus dieser Provinz im Norden Sumatras gemeldet. Die meisten dort lebenden Menschen sind Muslime, und die tun sich laut Schreiber schwer, Hilfe von Christen anzunehmen. Zudem werden sie vom Militär streng kontrolliert.
Hilfe an der Wasserstraße
Weil die Muslime in Aceh strenggläubig sind, hat die Provinz innerhalb Indonesiens einen Sonderstatus und orientiert seine Rechtsprechung zum Teil an der Scharia. "Islamistisch", wie hier in Medien behauptet werde, seien sie aber nicht, sagt Schreiber. Seit Jahren gibt es Bürgerkrieg, weil eine bewaffnete Separatisten-Bewegung ein selbstständiges Aceh anstrebt. Die Region besitzt riesige Flüssiggasvorkommen, auch Erdöl wird gefördert, doch die einfache Bevölkerung hat keinen Anteil an diesem Reichtum. Das Militär nutzt offenbar die Situation, den Widerstand zu schwächen. 120 Separatisten, so meldet es das Militär selbst, wurden in den vergangenen zwei Wochen getötet trotz des Elends nach der Naturkatastrophe. Vor Aceh liegen, am Beginn der Straße von Malakka, Schiffe der Amerikaner, der Australier, auch der Bundeswehr, um zu helfen. Über 30 Prozent des elthandels der Seeschifffahrt passieren diese Meerenge, auch für den Ölhandel ist sie bedeutend.
INFO
> Christine Schreiber ist unter Telefon (07472) 280266 zu erreichen.
> Informationen über Rolf Petersen gibt es im Internet unter
http://www.nias-portal.org/np/modules.php?name=News&file=article&sid=53
Sein Spendenkonto: 2139777 bei der Ev. Darlehnsgenossenschaft Kiel,
Bankleitzahl 210 602 37, Stichwort: Soforthilfe Nias
Bemerkung von Ch. Schreiber 2016: oben genannte Info- Daten sind nicht mehr aktuell, wurden aber im Zeitungsartikel aufgeführt.