Anläßlich eines bevorstehenden Sekundärbestattungsfestes mit Exhumierung von Vorfahren aus meiner direkten Simalango-Lineage in Sidihoni sowie engster Batak-Verwandter suchte ich das Forschungsfeld 1992 erneut auf. Vorausgegangen war mein Studienabschluß mit einer theoretischen Arbeit über die Methodik der Feldforschung und der Teilnehmenden Beobachtung im Spiegel des Problemfeldes der Subjektivität.
Darin zeigte ich theoretisch und empirisch auf, wo und wie Persönliches in die ethnologische Arbeit dreier anerkannter Feldforscherinnen - Hortense Powdermaker, Carla O. Poewe und Maya Nadig - einfließt. Mit dieser wissenschaftlichen Reflexion auf der Meta-Ebene erarbeitete ich Gegenargumente, falls die eigenen weiteren Arbeiten im Feld eines ungenügenden Abstandes gegenüber den Forschungsobjekten kritisiert oder der Vorwurf der Verletzung vermeintlicher wissenschaftlicher Regeln erhoben werden würde. Diese Arbeit verschuf mir das nötige Selbstvertrauen, im Feld verstärkt den persönlichen Intentionen zu folgen und meiner Begeisterung für Exhumierung und traditionelle Riten genügend Raum zu lassen.
Prinzipiell war ich offen für jegliche verstärkte Einbindung, auch für eine direkte, mitgestaltende Teilnahme am Ritual und im gesellschaftlichen Leben. Damit war der wissenschaftlich-persönliche Weg zur weitergehenden Zeremonialbeteiligung und zu gemeinsamem Handeln mit den Einheimischen frei und wollte experimentell ausprobiert werden. Ich nahm mir vor, emotional bewegende Ereignisse, Wünsche und Träume - frei von Ängsten durch eine mögliche Abweisung seitens der „scientific community“ - bewußt und verstärkt als Grundlage meines ethnologischen Handelns wirksam werden zu lassen. Nicht zuletzt diente die Annahme der Einladung zum gemeinsamen Feiern der Sekundärbestattung als persönliche Belohnung für den erreichten Studienabschluß.
Wie erahnt, wurde ich gefragt, ob ich aktiv einen Part am öffentlichen Ritus der Zweitbestattung übernehmen wollte. Dieses Angebot nahm ich gerne an.
Als Kind hatte ich sehr unter dem plötzlichen Tod meines Vaters gelitten, den ich als Verstorbenen knapp zwei Minuten in der Leichenhalle zu Gesicht bekam, bevor sich eine sehr kurze Begräbniszeremonie anschloß, die kein persönliches Abschiednehmen und kein psychisches Verarbeiten zuließ. Tod und Bestattung der Mutter - sie starb im ersten Studienjahr - verliefen fast nach dem gleichen Schema. Während des langen Aufenthaltes in Sidihoni erlebte ich dagegen das langsame, würdevolle Sterben einzelner Menschen innerhalb der anwesenden Gemeinschaft, festliche Erstbestattungen und tagelange Zweitbestattungen, die viele physisch nahe Formen des Umgangs mit dem Tod bereithielten. Oftmals wurde ich von Batak angesprochen, weshalb ich ihre Ausdrucksweisen der Trauer wie Klagegesang, Tanz um das Lager der Verstorbenen und das rituelle Streicheln des Leibes derselben nicht befolgte und offensichtlich nicht kannte. Dies hielt mir meine eigene Unfähigkeit mit dem Umgang des Sterbens vor Augen, deren Ursprung ich in einer verarmten heimischen Sterbe-Kultur sehe. Oftmals wurde ich stundenlang von Einheimischen befragt, wie die Sterbe- und Bestattungsriten in meiner Heimat aussähen. Meine Beschreibungen von Leichenhallen, Zeitbegrenzungen und diverser Gesetze, die alle auf Verbote hinauslaufen, mit dem Korpus - als Leiche, Asche oder Knochen - in direktem Kontakt zu bleiben, riefen Bestürzung, Unglauben, Unverständnis und Gelächter hervor.
Die Chance, durch die Batak einen neuen Umgang erlernen und praktizieren zu können, sowie die Möglichkeit, bei der Exhumierung der zuvor persönlich gekannten Großmutter Ompung Roma anwesend zu sein, waren die Hauptmotive, die hinter der Entscheidung lagen, speziell zum Ritual anzureisen und gegebenenfalls aktiv mitzuwirken. Hinzu gesellte sich die Freude, einer Vertreterin der altreligiösen Kultur damit die Ehre erweisen zu können und ein gewisser Stolz, im großen Klanritus mitmachen zu dürfen.