Erschienen: 31.01.2006 Seite:26
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Ein neuer Blick auf eine alte Kultur
Die Wurmlingerin Christine Schreiber stellte ihr Buch über die in Sumatra lebenden Batak vor.
WURMLINGEN (rum). So viel Sumatra war wohl noch nie in Wurmlingen. Gut 150 Gäste, darunter viele mit indonesischen Wurzeln, waren am Samstagnachmittag ins Gemeindehaus St. Josef gekommen, wo die Wurmlinger Ethnologin Christine Schreiber ihr Buch über die dort lebenden Batak vorstellte. Aus einem persönlichen Blickwinkel schreibt sie über Heilerinnen, Klan-Strukturen oder Zweitbestattungen.
Was zunächst nur eine Broschüre über die Menschen auf der sumatrischen Süßwasserinsel Samosir und die dortige Region Sidihoni hätte werden sollen, wuchs sich bald zu einem Buch aus. Fünf Jahre hatte Christine Schreiber daran gearbeitet. Der Text sollte aktuell sein, sich mit den Menschen und ihrer Kultur auseinander setzen und gleichzeitig den persönlichen Blick der Autorin offenbaren. "Ich wollte zeigen, wie die Kultur im Hinterland noch gelebt wird. Viele benutzen da immer noch uralte Quellen, wo die Leute so tun, als wären sie noch Kannibalen."
Schreiber lernte die Toba-Batak, eine altindonesische Volksgruppe, die im Hochland Nord-Sumatras lebt, auf einer Asienreise kennen, kehrte Jahre später als Ethnologin zurück und tauchte schließlich tief in die Kultur ein, als sie von einer Familie dort adoptiert wurde. Boru Malango ist ihr Name bei den Toba-Batak.
"Ich wollte dennoch bewusst halb europäisch bleiben", sagt Schreiber, die nun schon einige Jahre nicht mehr dort war. "Ich entspreche ja auch gar nicht dem Bild dort. Ich bin beispielsweise immer noch unverheiratet – und das in einer Klan-Gesellschaft."
In ihrem Buch beschreibt Schreiber Klan-Strukturen, berichtet von Schamaninnen, einem Hausbau, an dem sie mitgewirkt hat oder dem noch lebendigen Ritual der Zweitbestattungen. Dabei werden die Reste toter Verwandter mehrerer Generationen ausgegraben und gemeinsam in einem eigens errichteten Haus bestattet. Das noch der alten Religion verhaftete Ritual war im christianisierten Sumatra von der Kirche lang verboten, erzählt Schreiber. "Sie mussten es aber in einer etwas bereinigten Form wieder zulassen." Das Buch, so sagte der zum Fest anwesende indonesische Generalkonsul Muhammad Abduh Dalimunthe, selbst einem Batak-Klan zugehörig, sei sehr wichtig. "Es gibt Wissen über uns. Sie weiß inzwischen mehr über uns als wir selbst."
Der Tübinger Religionswissenschaftler Prof. Günter Kehrer hatte sie ermutigt, das Buch zu machen: "Ihr Text ist wissenschaftlich korrekt und bleibt dennoch für ein breiteres Publikum lesbar." Sie habe es bewusst nicht als Doktorarbeit geschrieben, wie es zunächst angedacht war. "Ich würde den Ehren-Doktor zwar gern annehmen", scherzte sie in Wurmlingen, "aber kein Wort ändern."
Aktuell hat die von ihr erforschte Region mit den Auswirkungen des auf den verheerenden Tsunami folgenden Erdbebens zu kämpfen. Durch eine tektonische Verschiebung sank der Wasserspiegel des vier Hektar großen Toba-Sees [Richtigstellung von C. Schreiber: gemeint ist der See Sidihoni] drastisch ab. Christine Schreiber: "Das ist äußerst problematisch. Der See ist die Lebensquelle für die Leute dort." Im Mai will sie wieder ins Batak-Land reisen, um das Buch ihren Adoptiveltern zu überreichen.
Aus dem umfangreichen Wissen, das sich Schreiber erforscht hat, will sie noch ein kleines Sumatra-Handbuch schreiben. Ihr großes Arbeitsziel der nächsten Jahre jedoch ist Teil 2 des jetzt vorgelegten Bandes. Darin will sie die mehr als 3250 eng beschriebenen Seiten ihrer Forschungs-Tagebücher verwerten. Schreiber: "Das würde ich im Gegensatz zu den Gepflogenheiten der Ethnologen-Zunft gern veröffentlicht haben, bevor ich sterbe."
INFO
"Sidihoni – Perle im Herzen Sumatras. Stationen und Bilder einer Feldforschung" ist im Tübinger tb-Verlag erschienen. Es hat 240 Seiten, ist mit 257 Farbfotos bebildert und kostet 30 Euro. (Stand 2016: nur noch 25 Euro)
Foto: Anne Faden
Die Batak-Kultur wurde am Samstag in Wurmlingen lebendig mit Essen, Tänzen, einer zeremoniellen Buchtaufe und Gesang gefeiert. Die Eröffnung machte ein kleiner Chor von in München lebenden Batak-Frauen. Die bunten Tücher, die bei dem Fest fast alle trugen, verbinden übrigens traditionell die Mitglieder eines Klans.
Zu diesem Artikel: Siehe auch den Beitrag >> Nachlese zum Fest