Oral History - mündlich tradierte Genealogie
Aufgezeichnet auf Rekorder, übersetzt und transkribiert im Dezember 2002. Die Geschichte beginnt mit dem Fürsten Raja Bolon, der vom Erzähler aus gesehen vor 20 Generationen gelebt hatte. Er gehört zur Großgruppe Nai Ambaton, einer weiblichen Ur-Mutter.
Es erzählt Ama ni Roma Simalango aus Sidihoni.
"Der Fürst Raja Bolon, bzw. Nai Ambaton, war mit einer Frau namens Boru Manurung verheiratet. Diese blieb jedoch kinderlos. Deshalb heiratete er eine zweite Frau, Boru Naibaho.
Von dieser bekam er Simbolon als Sohn. Kurz nach seiner zweiten Heirat wurde seine erste Frau, Boru Manurung, schwanger und bekam den Sohn Tambah, was der "Zusätzliche" heißt. Danach wurde ihm der dritte Sohn, Saragi, bzw. Saragitua geboren, was der "Gleiche" bedeutet. Danach bekamen sie noch die beiden Söhne Moente und Mahapun.
Als die beiden Halbbrüder Simbolon und Tambah erwachsen waren, brach zwischen ihnen ein Streit darüber aus, wer der Erstgeborene sei. So kam es zum Duell. Tambah, der Sohn der ersten Frau, erhielt von seinem Vater als Waffe eine lange Süßkartoffelwurzel. Simbolon, der Sohn der zweiten, erhielt als Waffe ein echtes Gewehr. Damit standen sich im Duell beide gegenüber. Nun konnte Simbolon Tambah ernsthaft verletzten oder gar töten! So musste Tambah einsehen, daß Simbolon als Erstgeborener bevorzugt wurde. Deshalb gab er auf und ging nach Negri Tambah, das ist in der Nähe von Sihotang. Simbolon aber blieb auf der Insel Samosir bei Pangururan.
Tambah betrachtete sich weiterhin als Erstgeborenen und wollte deshalb die Insel Samosir beherrschen. Er versuchte von Sihotang (am Festland) aus seinen Halbbruder Simbolon auf Samosir zu bezwingen.
Zuerst schickte Tambah seinen jüngeren Bruder, Saragitua, nach Ambarita. Dort sollte er sich niederlassen und aufpassen, daß kein Eisen mehr nach Pangururan zu seinem Bruder Simbolon käme. Denn ohne Eisen könne dieser keine Hacken zum Pflügen der Reisfelder und keine Sicheln zum Schneiden der Ähren mehr herstellen.
Den nächsten Bruder, Moentetua, schickte er nach Tongging. Dort solle er leben und den Baumwollhandel kontrollieren. Es dürfe kein Garn mehr aus diesem Hafenort im Norden des Toba-Sees nach Samosir gelangen. So würden die Simbolon keine Ulos, d.h. keine Kleidung, Zeremonial- und Kindertragetücher mehr herstellen können.
Den jüngsten Bruder, Mahapun, sandte er weit weg in die Hafenstadt Barus an der Westküste von Sumatra. Hier hatte er den Salzhandel zu bewachen. Dieses lebenswichtige Gut tauschten die Leute des Hochlandes gegen ihre Waldprodukte.
Er selbst, Tambatuah, ging nach Balige, dem großen Hafen-Ort südöstlich des Toba-Sees auf dem Festland. Von hier aus bewachte er den Reishandel, denn Balige liegt in einer großen, fruchtbaren Ebene.
Saragitua, der in Ambarita blieb, bekam mit seiner Frau drei Söhne. Der erste war Tuan Ginting, welcher ins Land der Karo-Batak zog, der zweite war Tuan Sumbayak, der nach Simalungun zog. Der dritte Sohn, Tuan Binur, blieb auf der Insel Samosir im Ort Rianiate.
Eines Tages wurde Tuan Binur von seinem Vater in Ambarita nach Negri Tambah, zu seinem Onkel Tambah geschickt. Auf dem Rückweg ging er über Rianiate. Dort sah er auf dem Balkon eines schönen Adat-Hauses eine Frau weben. Das war die junge Frau Boru Malau. Verzückt bauet er eine Kecapi (Lautenähnliches Seiteninstrument) und sang vor dem Haus, bis sie hinabsah. Da warb er um sie und bald heirateten die beiden. Tuan Binur bliebt am Ort seiner Frau in Rianiate, wo sie in ihrem Adat-Haus lebten. Davor stand ein großer Mörser aus Stein zum Stoßen von Reis und Gewürzen. Dieser Mörser vollbrachte viele Wunder und steht noch heute dort.
Der erste Sohn dieser Ehe war Lango Raja, Gründer des Klanes Simalango, wohnhaft in Rianiate. Er ist der Gründer der Marga Simalango, unseres Klans."
Feld-Zeichnung von Christine Schreiber
Quelle:
Erzählt im Dezember 2002 von Ama ni Roma Simalango, Sidihoni, Samosir.
Übersetzt aus dem Indonesischen (Bahasa Indonesia) und transkribiert von Christine Schreiber
Die Übersetzung folgt dem einfachen Erzählstil des Erzählenden.
Veröffentlicht: nur auf dieser website seit April 2006. Nachdruck unter Angabe der Quelle gerne genehmigt.
Übrigens: den alten Mörser des Simalango-Vorfahren Tuan Binur, von dem in der Legende die Rede ist, konnte ich in Rianiate, südlich von Pangururan auf der Insel Samosir, selbst inspizieren. Es muß um die 18 Generationen zählen.
Erklärung zur Legende: Die Namen der Söhne sind alle zu Klan-Namen geworden, wie auf dem gezeichneten Auszug des Stammbaumes zu sehen ist. Ein jeder von ihnen wurde also nach mehreren Generationen zum Begründer einer marga. Solche Klane oder Sippen gehören heute alle zu einer gemeinsamen Gruppe, genannt parna, was man vielleicht als "ehemalige Brüder" übersetzen kann. Sie dürfen nicht untereinander heiraten. Siehe auch >>Klane, marga
Für EthnologInnen: Die Abkömmlinge von Raja Isombaon bzw. der Sumba-Gruppe bilden eine Art Moiety. Die ältesten Klane marga der Toba-Batak sind bis zu ca. 25 Generationen absteigend rekonstruierbar. Sie sind große pratrilineare und i.d.R. patrilokale Lineages und Sublineages. Mittels Exogamie und Kreuzcousinen-Heirat bilden sie bis heute asymetrische Heirats-Allianzen in einer segmentierten Gesellschaft.