Begehrtes Hochland - auch in Sumatra...
Der Geograph Dr. Gerd R. Zimmermann ist ein scharfsinniger Denker, der in gut verständlicher deutscher Sprache und mittels zahlreicher Karten in seinem Buch die frühe Besiedelungsgeschichte Südostasiens aufzeigt.
Er behandelt die Hochlandgebiete von Sumatra, Borneo, Sulawesi, den Molukken, Java, den kleinen Sunda-Inseln, dem philippinischen Archipel, Festland-Südostasiens, Hainan und Taiwan jeweils einzeln nacheinander.
Abschließend belegt er seine Haupt-Überzeugung,
„daß die Protomalaien ihre hochgelegenen Wohngebiete aufgrund der vorteilhafteren geographisch-geoökologischen Konditionen bereits in Besitz genommen hatten, als die Deuteromalaien in die entsprechenden Räume vordrangen, so daß letztere nur gezwungenermaßen in den tropischen Tieflandregionen verblieben.“ S.1
Erklärung von cs: Protomalaien kann man gleichsetzen mit der flüssigeren Bezeichnung: Altvölker.
Deuteromalaien und Malaien bedeutet: spätere, malaiische Einwanderer, von denen viele bekannte Hochkulturen in Südostasien bekannt sind.
Hiermit wendet sich Zimmermann ausdrücklich gegen die in der Wissenschaft gängige Ansicht, die Protomalaien, bzw. Altvölker jener Hochlandgebiete seien von späteren Einwanderern ins Hochland zurückgedrängt worden. Diese Verdrängungsthese widerlegt er mit überzeugenden Argumenten.
Selbst die Wehrhaftigkeit ihrer Wohnanlagen (Wälle, Palisaden, zaunartige Umfriedungen) können eine Folge der Verteidigung gegenüber späteren Tieflandeinwanderern sein, die in den begehrten Lebensraum im Hochland eindringen wollten.
Niemals sei es umgekehrt um Kämpfe von Hochländern um das feucht-heiße, mangroven-bewachsene Tiefland gegangen. Und auch die Kolonial-Verwaltungen konnten diese Hochlandbewohner meist nur zuletzt unterwerfen.
Typisches Gassendorf der Toba-Batak auf Nordsamosir
Für die Batak in Nordsumatra – und auch die anderen Hochlandvölker - erscheint mir Zimmermanns Ansatz am meisten einleuchtend. Deshalb folgen hier seine Ausführungen in gekürzter Form. Die Fotos sind beigefügt von Ch. Schreiber; die beiden oberen zeigen ein typisches Toba-Batak-Haus und ein Toba-Batak Gassendorf.
Die Protomalaien allgemein
In Anlehnung an die Schriften von Heine-Geldern geht Zimmermann von Wanderungswellen aus Yünnan und dem Südchinesischen Bergland nach Süden aus. Diese ‚austronesischen Wanderungen’ haben wohl zwischen 2500-1500 vor Christus und 1500-300 vor Christius stattgefunden.
Diese Protomalaien [Altvölker, cs ] in all den oben untersuchten Hochlandgebieten lebten von der Landwirtschaft. Sie betrieben Brandrodungsfeldbau und auch gelegentlich Bewässerungsfeldbau – jedoch ohne Verwendung des Pfluges.
Neben Jagd und Fischfang lebten sie von der Schweine- und Geflügelhaltung, Sie webten mit Baumwolle oder Bastfasern, produzierten Töpferei ohne Einsatz der Töpferscheibe und wohnten in großen Pfahlbauten und Sippenlanghäuser, die zumeist mit Ornamenten verziert waren.
Sie waren in autonom geführten Dorf-, Clan- oder Sippengemeinschaften organisiert und folgten mutterrechtlichen Regelungen, von denen noch heute Reste zu erkennen sind. Sie führten rituelle Tieropfer durch, bearbeiteten Steine zu Megalithen und liebten oftmals Tätowierungen. Auch Kopfjagd konnte dazugehören.
Sprachlich gehören sie zur west-austronesischen Sprachfamilie.
Zusammen mit Einflüssen aus Indien und China ergibt sich für Südostasien ein eigener kultureller Raum, ein ‚Eigensubstrat’.
Mutterschwein, junger Wasserbüffel und Hahn
Sumatra
Zwischen den Bergketten des Bukit Barisan Gebieges, die in 3800m Höhe gipfeln, gibt es mehrere Hochflächen zwischen 600 und 900 m. (Batak-Land, Bukittinggi, Batusangkar). Auch das Kerinci und Pasemah-Gebiet sind hier zu nennen.
Die Batak, die Gayo und die Bewohner von Nias gelten als typische Vertreter der Protomalayen in Nordsumatra, die Mingangkabau dagegen als spätere Einwanderer, als Deuteromalaien. Letztere könnten sich jedoch gut und gerne mit ihren Vorgängern vermischt haben. Im südlichen Sumatra werden die Altvölker unter dem ‚Rejang-Komplex’ zusammengefasst – es gehören die Lembak und Abung dazu.
Sollten die Migranten aus dem Norden auf der Suche nach neuem Lebensraum ein Pendant zu ihren ursprünglichen Herkunftsgebieten gesucht haben, so waren die Hochflächen Sumatras dazu prädestiniert. Hier fanden die Einwanderer fruchtbare, jungvulkanische Verwitterungsböden; das Tiefland hatte dagegen eine undurchdringliche Mangrovenvegetation und war weniger fruchtbar.
Insbesondere das Gebiet um den Toba-See ist durch den Ausbruch des ‚Toba-Tumors’ im Pleistozän mit seinen jungvulkanischen Verwitterungsböden relativ ertragreich.
Toba Batak Dorf, Samosir, oberhalb von Tomok
Die Toba-Batak als typische Vertreter der frühen Einwanderer
Einschub von Ch. Schreiber
Bis heute sind folgende kulturelle und ökologische Elemente sichtbar:
- Soziale Organisation über Klane und Heiratsbeziehungen; Klane sind stark an ein Territoruim gebunden.
- Die Dorfeinheiten sind autonom; sie waren vor dem Kolonialismus in Gebietsschaften übergreifend zusammengeschlossen; egalitär. Keine mächtigen Fürstentümer und keine „Zentral-Regierung“ vorhanden. Einlfuß kraft Persönlichkeit, Wissen, Ertragsreichtum und Verwandtschaftslinie.
- Bis heute: Hohe Stellung der Verwandtschaft der Frau; Verwandtschaftliche Organisation der Klane im Kreisverhältnis gemäß der Wanderungslinie der Frau. Hoher Brautpreis für die Frau, asymetrischer Geschenkaustausch. Segensspender können nur Verwandte von Frauenseite sein. Verwandte von Männderseite erbringen lebenslange Arbeitsleistungen, Geld- und Goldzahlungen.
- Schöpfungslegende: eine kämpferische Frau kreiert die Erde, die Künste und später die Menschen. Jüngere Patriarchale Legenden, christliche Weltsicht und offizielle patrilineare Rechtsfolgen (Besitz, Residenz, Erbfolge) überdecken die hohe Bedeutung der Frau.
- Hochgiebelige Pfahlbauten mit Verzierungen, früher in Form des Gassendorfes. Wohnhaüser stehen auf einer Seite, Vorrats- und Versammlungshäuser wurden gegenüber gebaut. Bauweise: Steck- und Bindeverfahren, erdbebensicher, Häuser versetzbar; großer Innenraum ohne Wohnmöbel.
- Dorfanlagen mit Lehmwällen und Steinen umwehrt, unüberwindliche Pflanzen wie Bambus und Agaven darauf gepflanzt. Heute noch in alten Tälern aufzufinden, z.B. auf Samosir, in Sihotang, bei Sagala.
- Ruf, sehr kriegerisch gewesen zu sein; Einsatz von Speeren und Giften, später Feuerwaffen. Verbreitung von „Kannibalismus-Geschichten“ durch die Rajas zur Abschreckung möglicher Eindringlinge.
- Widerstand bis ins 20.Jhd. gegen koloniale Einnahme. Abwehr des Eindringens von Naturforschern, Missionaren und muslimischen Malaien von der Küste her.
Brautpaar mit Goldfisch, Brautpaar empfängt Gaben, Sawah-Reispflanze
Hochzeiten bei den Toba Batak auf Samosir betonen die hohe Stellung der Frau.
Foto 1. Das Brautpaar erhält als rituelle Nahrung Goldkarpfen zu essen. Die Eltern und weitere Verwandte der Braut haben den Fisch zubreitet und geben ihn zusammen mit Segenswünschen. Nur die Eltern der Braut und die Eltern der Großmutter und so weiter abfolgend können diese segensreiche Mahlzeit geben. Sie sind auf Batak die tulang, die höchsten Verwandten, und nur sie können Segen austeilen.
Foto 2. Das Brautpaar empfängt verschiedene Gaben der verwandten Sippen. In den geflochtenen Taschen tragen die verwandten Klane bzw. Sippen mehrere Kilos ungeschälte Reiskörner. Nur Verwandte aus den Sippen der Großmütter, Urgroßmüttter und die Eltern der Braut bringen diese symbolisch und wirtschaftlich wertvolle Gabe. Niemals schenken Verwandte des Bräutigams oder des Vaters, Großvaters uws.den ungeschälten Reis namens beras.
Foto 3. Die Frau wird bei den Batak, wie in so vielen Gebieten Indonesiens, mit der Reispflanze gleichgesetzt. Die Fruchtbarkeit der Frau, ihre Schwangerschaft und Geburt wird in Symbolen der reifenden Reisähre ausgedrückt. Bei der Hochzeit werden viele Güter getauscht, die Eltern und Brüder der Braut erhalten einen Brautpreis; ihr Gatte und seine Familien zahlten Geld - früher Gold - und erbringen ein Leben lang treue Arbeitsleistungen für die Familie der Braut. Um etwas Unabhängigkeit für die Braut n ihrem neuen Lebensort zu schaffen, erhält sie von ihren Eltern als Brautgabe meist ein Reisfeld.
Verschiedene runde Urnen aus Basalt sowie eine eckige (unten) aus Sandstein.
Dazu Steinpfosten mit Reliefs als Überreste eines Bootsunterstands bei Lontung.
Die Urnen und Sarkophage dienten zur Bestattung der Gebeine bedeutender Persönlichkeiten.
Ihre Herstellung ist Teil einer älteren Megalithkultur. Deren Ursprung ist noch ungeklärt.
Sandsteinurne bei Tolping, Sarkophag mit Deckel aus Basalt und Steinpfosten-Feld
Weitere Grundelemente sind diese:
- Handel mit Waldprodukten bis zur Küste; d.h. keine totale Isolation, sondern gesteuerter Außenkontak.
- Keine Kopfjagd, aber Kannibalismus (zum rituellen Zweck und als Sanktion).
- Kein Auslegerkanu, aber große Einbäume als frühes tägliches Transportmittel und zur Verteidigung.
- Weben und Färben mittels Pflanzen und Erden. Töpferei für Wasser- und Vorratsgefäße.
- Schriftkenntnis für Zeremonial-Bücher verwendet, war nur wenigen Eingeweihten bekannt; sakrales Elite-Wissen bez. Astrologie, Heilkunde, Magie.
- Büffel- und Schweinezucht: Verwendung in Zeremonien, rituelles Austauschgut zwischen den Klans.
- Große, häufige Gemeinschaftszeremonien mit Schlachtung von Büffeln, Schweinen, Pferden, Ziegen, Hühnern. Ehrenfeste, die in Richtung Verdienstfeste tendieren.
- Ahnenverehrung, Schamanismus, in alter Religion Verehrung von Naturplätzen, Wasserquellen (Art Aninimismus).
- Opfergaben an Natursteinen, Verehrung von Quellen, Felsen, bzw. hohe Stellung alter Menschen.
- Zweitbestattung als Zeichen hoher Ahnen-Ehrung; Exhumierung der Schädel von Vorfahren als Ehrenfeste.
- Kenntnis der Vorfahren und Stammbäume über 10- bis 15. Generationen hinweg, auch jener der angeheirateten Sippen.
- Megalithkultur: Bearbeitete Steine vorhanden als: Sarkophage, Urnen, Bootsunterstände, Mörser, Dorfwälle, Eingangstreppen, Skulpturen.
- Unbearbeitete Steine verwendet als: geschichtete Dorfwälle. Als “Wehrburg“ mit Steintunnel und Terrassenschichtung in Panjumorang aus Samosir.
- Früher Gold, Reis, Land und Metall als rituell-soziale Tausch-Gabe; hohe Stellung von Schmuck und Waffen aus Gelbguß.
- Brandrodung (heute noch auf den Habinsaran-Hochflächen); Pflügen der Felder mit Hacken (nicht mit Pflug); Anbau von Bewässerungsreis und Anbau von Trockenreis (ladang; alte "rote" Sorten des Trockenreis vorhanden.
- Verzehr von frischem rohem Blut der Schweine und Hühner im traditionellen Gericht pinada. Gerade letzeres ist die Opfergabe für verstorbene Vorfahren. Diverse Ubi-Gerichte (ubi kayu, Kassawa, Taro)
- bekannt als Kochkunst aus Zeiten, als es keinen Reis gab. Attagsnahrung: Reis und gesalzener
- Trockenfisch vom Meer.
Der Berg Pusuk Buhit ist das historische Siedlungsgebiet der Toba-Batak
Dieses Bild zeigt die Westseite des Berges Pusk Buhit, des Nabel-Berges am Toba-See in Nordsumatra. Der Blick fällt in der Bildmitte zentral auf die Siedlung namens Limbong. Der Ort liegt oberhal der mit Reis bepflanzten saftig-grünen Ebene. Links ist durch den Einschnitt zwischen dem Bergrücken und der Abbruchkante des Toba-Kraters etwas vom Toba-See zu erkennen. Am rechten Bergrücken zieht sich in der Ferne die Insel Samosir entlang.
Im Vordergrund sind noch ehemalige steile Reisfeldterassen für Trockenreis zu erkennen. Sie liegen brach und sind mit alang-alang Gras oder Pinien bewachsen. Früher zogen sich die Reisterassen bis über den ersten Sattel des Bergs um 1.700m hinauf . Das untere Knie des Berges diente den Batak als frühestes Siedlungsgebiet; noch heute liegt hier, nördlich von Limbong, der Ort Sianjur Mula-Mula, der Ort, "wo es begann". Links, hinter dem ersten Knie des Berges, aber auf dem Bild verdeckt, liegt das fruchtbare Fächertal Sagala, das sich bis an den Toba-See hinzieht.
Fruchtbarkeit des vulkanischen Bodens und der Schwemmlandtäler, frisches Klima, gute Verkehrsmöglichkeit über den See, Schutz vor Eindringlingen aufgrund umgebender Gebirge und hoher Kraterwände boten den ersten Siedlern ideale und bekannte Bedingungen.
In den alten Legenden bekäpfte eine Götter-Tochter einen Schlangendrachen, der im unendlichen Meer lebt. Als sie ihn mit dem Schwert durchbohrte und für immer "festnagelte", pflanzte sie auf seinem Kopf ein kleine Erde: die Welt der Batak-Menschen - den Berg Pusuk-Buhit.
Der Toba-See liegt ca. 900 m hoch, die Abrißkante durch den einstigen Vulkanausbruch kann mehrere Hundert Meter tief sein. Die Hochebenen liegt oftmals im feuchten Nebel zwischen 1300 und 1700 m hoch. In der Kühle gedeihen bestens europäische Gemüsesorten. An den sonnigen Hängen des "schlafenden" Vulkanes reift Kaffee in Spitzenqualität. Nabenberg erreicht knapp 2.000 m und befindet sich 3° nördl.d.Äq.
Aus der gemeinsamen Betrachtung aller untersuchten Altvölker ergibt sich für Zimmermann folgende, verfeinerte Betrachtung:
Nach der letzten Eiszeit kamen in mehreren Wanderungswellen zwischen 2500 und 1500 v.Ch. die Protomalaien über Festlandsüdostasien und via Taiwan/Philippinen nach Süden. Sie suchten freiwillig Höhengebiete (mit basischer Konsistenz) auf, da diese ihren Herkunftsregionen glichen.
Spätere Auseinandersetzungen bzw. Kämpfe zwischen Proto- und Deuteromalaien gingen um Höhengebiete, nicht um Tiefländer. Bei möglichen Niederlagen waren die Altvölker organisatorisch nicht lahmgelegt, da sie in kleinen, autonomen Einheiten residierten. (Rechts: Stein-Mörser der Toba)
Das Hochland bot klimatische Vorteile. So konnte hier die (wahrscheinlich) mitgebrachte Hirse gedeihen und erlitten die Schweine keinen Schweinestress. Insgesamt gibt es eine geringe Anfälligkeit von Haustieren. Auch der Wasserbüffel vermehrt sich besser.
Die agrarökologische Bandbreite ist in mittleren Höhen die beste, hier wachsen Hirse, Sago, Reis, Baumwolle, Gemüse, Gewürze, Früchte und viele verschiedene Baumarten. Die Oberläufe von Flüssen sind reich an Fischen; Wälder dienen der Jagd und dem Sammeln von Waldprodukten. (Rechts: Palmwein-Gefäß aus Holz und Ton, Toba Batak)
Im Hochland gibt es weniger Krankheiten, die von Insekten übertragen werden (z.B. Malaria), sowie weniger Infektionen von Darm-, Wurm- und Geschlechtskrankheiten.
Das Hochland birgt zumeist auch Eisenerze, die zur Metallbearbeitung (Geräte, Waffen, Ritualgegenstände) dienten.
(Rechts: Hausornament der Toba Batak)
Zimmermann erklärt:
"Das Erkennen von entsprechend begünstigten Siedlungsflächen ist als ganz außerordentliche Leistung der protomalaiischen Ethnien anzusehen“ (S.124).
Sie legten – mit Ausnahme der Städte – die Hauptlinien der Besiedelung in Südostasien fest."
Gerd R. Zimmermann: Die Besiedlung Südostasiens. Eine ethno-ökologische Perspektive. Nackenheim, 1992, zahlreiche Karten, 160 Seiten, Preis: 18,- Euro zzgl. Versandkosten.
Herr Zimmermann hat noch einige Exemplare vorrätig. Bei Interesse nehmen Sie mit mir Kontakt auf und leite ich Ihre Anfrage persönlich weiter.
Copyright der Fotos dieses Artikels: Christine Schreiber