Das Museum der VEM
Zauberbücher - Pustaha - Buku-Laklak
Ganz besondere Schätze liegen zum Schutz im klimatisierten Archivkeller des Museums. Auf Wunsch und mit begründetem Forschungsinteresse zeigt die Museumsbetreuerin, hier Frau Mohr, die Pustaha (Sanskr. pustaka), die Bücher der Batak aus Baumrinde. Sie waren quasi die Notizbücher der Spezialgelehrten der Batak, genannt Datu. Datu erlernten in ihrer exquisiten Lehre bei einem lokalen Meister die Zeichen der alten Batakschrift. Als schrift- und schreibkundige Priester-Elite gaben sie in diesen Büchern ihr magisch-religiöses Wissen unter sich weiter, begonnen von Rezepturen gegen Krankheiten, Kalenderinterpretationen, Beschwörungsriten zur Beeinflussung von Menschen, Geistern, Seelen, Verstorbenen und Ahnen, zum Zwecke der Kriegsführung oder Heilung. Sie waren die Spezialisten zum Verleihen magischer Kräfte an Zeremonial-, Prestige-, Schutz- und Kriegsgeräte.
Die Rindenbastbücher, genannt Pustaha oder Buku Lak-Lak (wörtl. Rinde, Bast) dürfen nur mit Handschuhen angefasst werden. Das organische Material ist empfindlich. © Schreiber
Im Westen und insbesondere in Missionsquellen wurde Datu zumeist mit Zauberpriester oder Wahrsager übersetzt, und ihre Kunst mit Wahrsagerei, Zauberei und Magie. Ihre Bücher nannte man folglich Zauberbücher. Heute würden wir sie eher als Zeremonialbücher oder als Rindenbastbücher der einheimischen Magisch-Gelehrten bezeichnen.
Auch wenn heute die einzelnen Buchstaben in den Pustaha übersetzt werden können, bleibt doch der Sinn dieser Aufzeichnungen verborgen. Es fehlt an Grammatik, an Absetzungen zwischen einzelnen Sätzen und Abschnitten und vorallem an der sozial-religiösen Kenntnis, also am Wissen über den religiösen, sozialen und pflanzenmedizinischen Bezugsrahmen, um den Inhalt der Bücher interpetieren zu können.
Verschiedene Größen der Pustaha-Bücher im Vergleich. Rechts ein Ausschnitt des massiven Holzdeckel-Einbandes, der mit geschnitzten Blütenranken verziert wurde. © Schreiber
Mich selbst faszinieren die hübschen symbolischen Darstellungen von Menschen, vom Kosmos und von Tieren, insbesondere von Hühnern. Aufgrund des erwählten Logos für meine Website und Publikationen, der des stilisierten Hahnes / Huhnes, freue ich mich immer wieder über ein Wiedertreffen.
Aufgeklappt zeigen uns die Bücher wahre Wunderwerke: phantastische Tiere, kosmische Symbole, ungewöhnliche Menschen. © Schreiber
Hat das Tier doch weitreichende Bedeutungen. So ist es nicht nur direktes Ritual-Tier, das eventuell in der Trance getötet wird und aus dessen Innerem das Schicksal und die Aufgaben für den Klan oder den Familienstrang gelesen werden. Es ist auch in der Mythologie präsent als (weibliches) Ur-Element. Denn es schlüpften die ersten Götter aus den Eiern eines Ur-Huhnes. Dieses Ur-Huhn lebt auf dem Ur-Baum, dessen Wurzeln in die Erde und Untere Welt reichen, d.h. in die Erdenwelt mit dem feuchten Erdboden und seinen darauf lebenden Menschenbewohnern der Mittleren Welt. Seine Krone erstreckt sich in die Obere Welt, die der Göttertöchter und -söhne, aber auch in die Welt des Einzigartigen, des Ur-Seins, des formlosen "Beginn des Großen Werdens und Seins - Mula Jadi na Bolon" hinein. So verbindet der Baum alle Kräfte, die Unterwelt, die Mittlere Welt, die Obere Welt und das SEIN.
Auf dem Baum kräht und wacht der Hahn, auf ihm legt die Henne die Eier, aus denen weibliche, männliche und indifferente Götter schlüpfen. Auf Weisung der Eltern heiraten sie untereinander und begehen sie sozusagen Inzest. Oder sie vermehren sich durch vegetativen Zerfall und Sprossung. Ungehorsam und List ist auch oft mit im göttlichen Spiel der verschiedenen Varianten batakscher Entstehungsmythen. Letztlich kommt es zwischen den Götter-Wesen zur Nachkommenschaft und hierrüber zur Entstehung der Menschen, denen sie ihr Wissen und Können weitergeben.
Foto links: in der Mitte ist ein Hahn zu sehen und im Hintergrund eventuell eine Sonne. © Schreiber
Das Huhn hat in Sumatra generell eine starke Bedeutung. So findet sich dieses Exemplar zum Aufhängen in der Ausstellung der VEM in einer Vitrine. Folgender Erklärungstext in kursiver Schrift informiert den Besucher über das Objekt und was man zur Zeit des Sammelns solcher Realien über sie wußte:
Hühnerfigur nakka piring, Sumatra, Indonesien, 19. Jh. Holz.
Diese hölzerne Darstellung eines Huhns wird im Haus über einem Nest aufgehängt. Damit soll demonstriert werden, dass hier den Ahnenseelen geopfert wird, die noch weit über den Tod eines Menschen hinaus das Leben der Nachkommen beeinflussen. Um die Ahnenseelen gnädig zu stimmen, müssen Gaben - wie beispielsweise Hühnereier - dargereicht werden.
Im Buch von W. Volz, Die Batakkländer. Nord-Sumatra, Bd.2 von 1909 zeigt eine Zeichnung, dass solche Hühner aufgehängt wurden. Wahrscheinlich waren sie an einem Dachbalken befestigt und hingen sie herab wie auch die Raga-Raga, eine ähnlich rechteckig geformte, hängende Plattform zur Darreichung von Opfergaben an die GöttInnen und AhnInnen, quasi als eine Art hängender Altar.
Im Text unter dieser Zeichnung im Buch von Volz steht:
Heiliges Huhn auf einem Nest sitzend, um den Hals ein Säckchen zur Aufnahme der Opfer. Weihestück an Verstorbene aus Sitorang.