Pagar - mächtige, weibliche Schutzfiguren
Sibaso - Paniaran - leider degradiert zur Helferin des Datu
Eine weitere Abteilung zu den Batak ist jene der geschnitzten Ahnen- und Schutzfiguren aus Holz, genannt Pagar. Dieser Begriff gilt allgemein für Schutzmittel. Für die grosse Batak-Ausstellung im Lindenmuseum im Jahr 1990 posierte eine ähnlich geschnitzte weibliche Vollplastik mit eingelegten Augen aus Zinn auf einer Postkarte. Hier, im Ausstellungsraum der VEM, reiht sie sich ein in viele ihrer Art, ist aber eine der schönsten und beeindruckendsten. Ihre Ausstrahlung und Kraft verstärlt sich, wenn man in Sumatra unter den Einheimischen selbst erlebt hat, welche Kraft und welches Können manche Frauen der Batak haben.
Da liest sich der erklärende Text leider falsch und sogar in die Irre führend. Meine damalige Anregung, einen neuen Text zu verfassen, der dem heutigen Wissen über das Batak-Volk entspricht, wurde zwar begrüßt, aber leider noch nicht umgesetzt. Dies ist die Orginal-Beschreibung im Ausstellungsraum:
Ahnenfigur, pagar, Sumatra, 19. Jh, Holz
Die große, hockende pagar-Figur der Toba-Batak auf Sumatra hält ihre Hände in gespreizter Haltung auf Bauchhöhe. Der geschnörkelte Haardutt am Hinterkopf weist auf ihr weibliches Geschlecht hin.
Der sockelartige Aufsatz auf dem Kopf deutet eine Schale an, die bei Zeremonien aus weißem Porzellan gefertigt und mit rituellem Wasser gefüllt von einer Helferin des Zauberpriesters datu auf dem Kopf getragen wird, um Ahnengeister anzulocken. Auf Brusthöhe befindet sich eine Aushöhlung, die zur Aufnahme des pukpuk, eines vom datu angefertigten Zauberbreis, dient. Ein pagar hilft den Menschen bei der Abwehr von Schaden.
Der hier vorliegende gravierende Fehler besteht im Abschnitt: ...einer Helferin des Zauberpriesters... Weshalb? Ich erkläre:
Die leicht gestauchte, mit den Knien angewinkelte Haltung, wobei die Hände auf den Unterbauch gelegt oder die Armen weit ausgestreckt sind, ist weltweit bei der Trance verbreitet. Bei den Batak gehen versierte Frauen tanzend und unter enormer Körperspannung in die Trance. Diese Figuren zeigen - wie Ausschnitte aus einer Choreografie - Elemente aus dem Tanz dieser Medien. Die Tänzerinnen werden begleitet von Gondang-Musik, die sich genau an den Phasen/Stadien der Trance-Medien orientieren und auf Wunsch die Lieder und Rhythmen spielen, die die Schamaninnen brauchen. Die Sibaso na Bolon, Paniaran oder Hasandaran, wie diese Frauen bei den Batak auch genannt werden, verlangen die Rhytmen nicht nach persönlicher Lust und Laune. Nein, es sprechen und rufen aus ihnen die Geister der Ahnen und Ahninnen, mythologischen Bewohner der Gebiete oder auch einstige Raja, Fürsten, Medizinkundige, Datu und gar Götter. Geht die Trance zuende, spreizen die Frauen ihre Arme, springen sie auf und ab und fallen sie dann erschöpft, fast bewusstlos, zu Boden. Was während des Trancetanzes passierte, ist ihnen hernach nicht mehr zugänglich. Die haben ihren Leib und ihren Mund während der Trance einem anderen Wesen zur Verfügung gestellt. Sie waren "besessen".
Die weiße Schale birgt Wasser vom gemeinsamen Ahnenhain verschiedener Klane und in ihr liegt eine aufgeschnittene, heilige Zitrone. Zeichen besonders versierter Trance ist es, wenn das Frauen-Medium die Schale im Tanz auf ihren Kopf stellt und damit weitertanzt, scheinbar ohne Mühe jongliert und in der enormen Anspannung mit der Stimme der Ahnen spricht.
Geht diese besondere Form der gesellschaftlichen Kommunikation - eine Beratung zwischen den Sphären der Lebenden, Toten und Gottwesen - zuende, besprenkelt die Sibaso na Bolon die Anwesenden mit diesem Wasser oder / und trinken alle einen Schluck von diesem, durch den Prozess des geheiligten Miteinander nun besonders heilsamen, Wassers. Die Schale wird, wie früher ein Schädel, allen Anwesenden herumgereicht. Bis heute sind diese Riten noch zu erkennen und erleben sie sogar ein Revival. Dies geschieht oft im Rahmen des nächtlichen Gondang Sabangunan, des Aufspielen des Trommelorchesters bis zum frühen Morgen im nichtöffentlichen Rahmen.
So zeigt die Fotozusammenstellung oben ein gegewärtiges Trance-Medium in Aktion in Sidihoni. (Mehr dazu im Artikel Knochengold und Steinschatulle II: kommentierte Bilder hier auf dieser Website.)
Da aber die Sammler von einst, die Missionare und Kolonialverwalter, genau jene Rituale verboten hatten, die aus ihrer Sicht altreligiös waren und auf sozialer Ebene eine mächtige Einheit der Abstammungsgruppen/Klane bildete und neu bestärkte, brachten sie nur mangelhafte Beschreibungen über die Ritualgegenstände und ihre Verwendung mit. Hinzu kommt noch der männliche Blick, der nicht erkannte, dass diese Frauen Leitungsfunktion durch und mittels dieses Rituals über die gesamte Lineage ausübten. Auch Männer können in Trance fallen oder im Ritual zu mehreren mit den Frauen zusammen von ihren Ahnen besessen werden. Doch als gesellschaftliche Institution sind die Medien weiblich, sind sie die Töchter von bereits sehr trance-begabten, bekannten Müttern, von Hebammen und Beraterinnen der Frauen.
Diese, von den Batak geschnitzten Schutzfiguren, stellen Trance-Medien dar. Eventuell waren sie ehemals mit Kleidungsstücken aus gewobenem Ulos-Stoff teilweise umkleidet. Die trancekundigen Frauen der Batak gehören in eine eigene gesellschaftliche Sparte und in das direkte Erleben einer Dorfgemeinschaft oder einer Klangruppe bzw. der Bewohner eines bestimmten Territoriums (Bius). Die Figuren zeigen das mächtigste sozial-religiöse Wirkungsfeld der Frauen und spiegeln deren Wirkkraft gefangen im Holze wider. Der Machtbereich der Frauen ist ein sozialer, aktiver und verborgener. Ihre Kunst wird - insbesondere seit den Restriktionen durch die Mission - im Vergorgenen durchgeführt, im Dunkeln, des Nachts und begleitet vom Gondang Sabangunan (wörtl.: das Trommelspiel, das bis zum Morgen dauert). Trance ist weiblich, wie die Domaine der Geburt: allgegenwärtig, doch im Dunklen vollzogen.
Draußen dagegen ist die Welt der Männer, in den Versammlungen und kunstvollen Reden, im Repräsentativen, im Öffentlichen und Mächtig-Magischen: beim Datu, seinem Zauberstab, Zauberbuch und Zauber-Wissen. Ein Datu wurde (es gibt sie heute nicht mehr) hoch geehrt, beauftragt und von den Eltern seiner Schüler bezahlt mit Vieh, Gold und Tüchern.
Ein Trance-Medium dagegen verlangt keinen materiellen Gegenwert. Ein Medium MUSS aus Berufung aktiv sein - wie übrigens der Datu auch. Ein Medium, also eine Schamanin, hält sich innerlich immer bereit zum Einlass der Ahnen, im Haus, in der "geschlossenen Gesellschaft" , im "sakralen Raum" und inmiten der versammelten Menschen. Diese helfen sofort und bringen ihr zum Umlegen die passenden zeremonieller Tücher, reichen ihr die weiße Schale, bringen bei Bedarf eiligst Opfertiere herbei und fangen den Leib der Schamanin vor ihrem Zusammenstürzen auf. Sie führt die Kunst des Verbotenen und doch so Notwendigen aus. Ihr Lohn ist Respekt, aber auch Furcht ihrer Mitmenschen. Ihre Macht ist kaum greifbar, zwiespältig ist ihre Rolle.
Und doch ist die Kunst beider komplementär, ergänzend und nur in der weiteren Interpretation ein Gegensatz. So wie die Paniaran und Parbaringin, die weiblichen und männlichen Sakralvertreter der Toba-Batak, verschiedene Bereiche eines geistig-spirituellen-sozialen Miteinanders vertreten.
Das konnten die damaligen Sammler dieser Figuren nicht "sehen" oder beobachten oder erkunden. Da die Rituale verboten waren, bleib nur ein bedeutungskastriertes Aufbewahren.
Viele der präsentierten hölzernen Schamaninnen haben Löcher im Bauch, einige zeigen eine verschlossene kleine Brustkammer. Ja, sie sind für die Aufnahme von Pupuk gedacht, wie im Begleittext der VEM geschrieben. Einer schwarzen klebrigen Paste, die aus menschlichem Material, wahrscheinlich sogar von Ermordeten, zubereitet wurde.
In dieser Paste steckt alle geheime, magische, brutale Gewalt, die es zum Überleben, zum Siegen und zum gesellschaftlichen Erhalt braucht. Es heißt in alten Quellen, sie mache den Speer fliegen, sie verjage den Feind, und - was liegt näher als das - sie gibt den hölzernen Schutzmedien das letzte Etwas, das Belebende, wie wenn wir im Christlichen uns vorstellen, dass Gott Eva die Seele einhauchte. Die Pupuk-Paste macht vollkommen, sie potenziert, vielleicht verbindet sie - weiter interpretiert - das Männlich Aggressive, was in seiner Herstellung liegt, mit dem Weiblich, Weltüberschreitenden, Transzendenten.
Allgemein ist Trance ein Zustand, in dem sich das normale alltägliche Bewusstsein ändert, die Wellen im Gehirn in einen anderen Modus schalten, der Tonus der Muskeln sich ändert und der Mensch zu ungewöhnlichen Leistungen, Wissen, Körperkünsten und Kommunikationen fähig ist. Bei den Batak treten die Versammelten über Medien, die diese Kunst beherrschen, in Kontakt mit ihren höheren, machtvollen Wesen. Sie können diese Wesen direkt befragen und von ihnen Anleitung erhalten z.B. zum Brauen von Medizin, zum Lösen gesellschaftlicher Spannungen oder zum Befolgen eines Rituals, um Not zu lindern, Dürren zu beenden, Zwist beizulegen und Krankheit zu vertreiben.
Mit der Beschreibung der VEM werden die weiblichen Medien, die Trance-Spezialistinnen der Batak degradiert zur Helferin des Datu. Als dürften Frauen nur Zuarbeiten und keine eigene, kraftvolle, magisch religiöse Instanz selbst sein. Spätestens seit der Dissertation von Angerler über die Paniaran und Sibaso, und spätestens seit meinem eigenen Buch, worin ich die Schamaninnen und ihre Künste vorstelle, spätestens seit Marija Gimbutas und Felictas Goodmans Werken über religiöse Trance und Schamaninnen in ihren speziellen, jedoch weltweit ähnlichen Körper-Haltungen und veränderten Bewußtseinsprozessen, dürfte die männlich zentrierte, westliche Sichtweise auf Wirken und Können von Frauen, hier der Batak-Frauen, nicht mehr reproduziert werden.
Foto links: Batak-Frau aus Holz, mit Schnüren aus Ijuk-Material (Palmenfasern) umwickelt, dargestellt im Buch von Edwin M. Loeb von 1935