Schwäbisches Tagblatt, 30. August 2012
Forscherin wird Verlegerin
Christine Schreiber hat in Seebronn einen Kleinverlag für Ethnologika eröffnet. Sidihoni-Verlag - so wie ihr erstes Buch - heißt das neu gegründete Unternehmen.
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Forscherin wird Verlegerin
Christine Schreiber hat in Seebronn einen Kleinverlag für Ethnologika eröffnet
Vor sechs Jahren brachte die Seebronnerin Christine Schreiber ein Buch über ihre Feldforschungen in Sumatra heraus. Jetzt hat die 52-jährige Ethnologin mit einem zweiten Buch über Papua-Neu- guinea nachgelegt und einen eigenen Verlag gegründet.
ULRICH EISELE
Seebronn. Sidihoni-Verlag – so wie ihr erstes Buch heißt das neu ge gründete Unternehmen. Nun fragt man sich, wer heute, da größere Verlage die Segel streichen, noch so ein Wagnis eingeht? Erster Versuch einer Antwort: Nach materieller Sicherheit strebte Christine Schreiber noch nie – jedenfalls nicht in erster Linie. Viel wichtiger waren ihr stets Erkenntnistrieb und Lebenserfahrung.
In einer Flüchtlingssiedlung auf der Insel Reichenau aufgewachsen, fühlte sie sich in der Jugend beengt und eingeschränkt. Von klein auf habe sie das Gefühl gekannt, sagt sie, fremd zu sein. Das sei wohl auch Ausschlag gebend dafür gewesen, dass sie nach dem Abitur erst eine Weile in Südostasien vagabundierte und dann, gegen den Rat ihres Bruders, ein Studium in Ethnologie und Kulturwissenschaft aufnahm.
1989 erfolgte der zweite Schritt, der sie aus der bürgerlichen Normalität weit hinaus führte: Im Rahmen ihrer Magisterarbeit beantragte Christine Schreiber einen einjährigen Forschungsaufenthalt auf der Insel Sumatra in Indonesien. Dort lebte sie in einem so genannten Vier-Häuser-Dorf bei den Toba-Batak, einer altindonesischen Volksgruppe, und studierte deren Lebens-, Arbeits- und Begriffsformen sowie deren Rituale.
So nahe kam die Ethnologin dabei ihrer Gastfamilie, dass jene sie schließlich sogar „adoptierte“.
Den Kontakt zu ihrem – inzwischen verstorbenen – Batak-Vater, ihrer Zweitmutter und ihrer Verwandtschaft in der Provinz Sidihoni ließ Christine Schreiber nie abreißen, vielmehr unterstützte sie die Region immer wieder mit karitativen Aktionen.
Zuhause aber ging es nur auf Umwegen voran. Der Professor, bei dem Christine Schreiber ihren Forschungsaufenthalt beantragt hatte, war nicht mehr in Tübingen. Und das Vorhaben, aus ihrer Feldstudie ein Buch zu machen, ließ sich zuerst nicht umsetzen.
Um doch noch einen bürgerlichen Beruf zu erlangen, ließ sich die Ethnologin zur Außenhandelskauffrau ausbilden und arbeitete dann in einem Reutlinger Unternehmen. Später fand sie eine Halbtagsstelle in einem kleineren Hirschauer Betrieb, die es ihr ermöglichte, ihren schriftstellerischen und ethnologischen Interessen weiter nachzugehen.
Erst 2006 erschien das Sidihoni-Buch („das war ich mir schuldig“), doch schon vorher hatte Christine Schreiber immer wieder in Vorträgen über die politischen und kulturellen Verhältnisse Indonesiens und insbesondere Sumatras berichtet. Diese Arbeit setzte sie auch danach weiter fort, baute eine eigene Homepage auf (www.sidihoni.com), mit einem Journal zur Batak-Kultur, zu Publikationen, Vorträgen und Veranstaltungen. Bis heute entstand daraus ein kleines Netzwerk, das für viele an Sumatra und Indonesien Interessierten wertvoll ist.
Über diese Arbeit bekam Christine Schreiber auch Kontakt zu der in Schleswig lebenden Ärztin Silke Bertram, die mit ihrer Familie – dem Ehemann und drei kleinen Kindern – von 2001 bis 2005 vier Jahre lang in Papua-Neuguinea praktizierte und diese Zeit in ihren Tagebüchern festgehalten hat. Ein verstörendes Dokument einer Deutschen, die in eine ihr völlig fremde Kultur eintaucht, teilweise erschreckende Dinge erlebt, aber auch eine große Mitmenschlichkeit bei den Bewohnern der Insel Karkar in Neuguinea.
Es sei Silke Bertram ein Bedürfnis gewesen, ihre Tagebücher zu veröffentlichen, erzählt Christine Schreiber. Doch kein etablierter Verlag wollte das finanzielle Risiko tragen. Über Christine Schreibers Druckerei kam die Schleswiger Ärztin in Kontakt mit der Seebronner Ethnologin. Sie habe sofort den inhaltlichen Wert dieser Tagebücher erkannt, erzählt Christine Schreiber, auch wenn ihr die Aufschriebe am Anfang „wie Kraut und Rüben“ erschienen. 230
Stunden Arbeit habe es sie gekostet, das Manuskript in eine lesbare Form zu bringen. Diese Arbeit – so scheint es – hat sich nun gelohnt: Die erste Auflage – 200 Stück – wurde der Verlegerin buchstäblich aus der Hand gerissen. Die zweite ist schon da, und auch danach hält die Nachfrage ungebrochen an.
Und als nächstes? Will Christine Schreiber vielleicht die Erinnerun- gen einer deutschen Missionarsfrau auf Sumatra um 1900 verlegen. Ideen für neue Projekte hat sie genügend. Und bei dem, was sie bisher an Rentenbeiträgen einbezahlt hat, rechnet sie auch nicht damit, sich mit 65 Jahren zur Ruhe zu setzen.
Im Puls Papuas – das Buch zur Geschichte
„Im Puls Papuas– wo ich meine Seele vergaß“, heißt Silke Bertrams Buch über ihren Aufenthalt in Südost- asien. 2001 erhielt sie eine Stelle in Papua-Neuguinea. Als Ärztin in einem 180-Betten-Krankenhaus musste sie sich in nahezu alle medizinischen Gebiete einarbeiten und nebenbei die Sprache erlernen. Sie erlebte, wie eine sechs-fache Mutter die Sterilisation ablehnte, weil der Clanchef den Eingriff untersagt hatte; wie Mütter ihre Neugeborenen an Verwandte verschenkten, die keine eigenen Kinder bekommen konnten. „Nach unseren Begriffen wäre das undenkbar. Dort gilt es als Akt der Mitmenschlichkeit.“ Buchbestellungen online über www.sidihoni.com