Referat von Anne-Rose Kalb-Pachner
Persönlich vorgetragen am Denkmal Salib Kasih
am 23.5.2010 in Sumatra
während einer Exkursion des Seminars
Mission & Kolonialismus
in Niederländisch Indien
Fern-Universität Hagen, Prof. Dr. Reinhard Wendt
Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften
>>>Download des Referats (38 kb)
Eine deutsche „Glaubenskolonie“ im Toba-Batak Land
Einleitung
Der Begriff „Glaubenskolonie“ soll verdeutlichen, dass es sich zuerst um eine kleine Ansiedlung, in der christlicher Glaube gelehrt und gelebt wurde, handelte. Deutsch war diese Siedlung, weil Nommensen als Gründer dieser Kolonie ein deutscher Missionar war. Wie auch weitere Missionare wurde er von der deutschen Missionsgesellschaft, der RMG (Rheinische Missionsgesellschaft Wuppertal), entsandt. Die Mission im Toba Batak Land diente weniger der Stärkung der Macht der Kolonialherren, sondern sollte Heiden von christlichem Glauben und christlicher Lebensführung überzeugen. Das Referat soll den Hintergrund der Missionare und der Batak Gesellschaft beleuchten. Nommensen wird ausführlicher erwähnt, weil er als erster erfolgreich im Toba-Batak Land missionierte.
Zum Hintergrund der Missionare: Erweckungsbewegung und deutsche protestantische Mission
Erst in der zweiten Hälfte des 17. Jhds. gibt es zur Missionsarbeit Impulse, die vom Pietismus ausgehen. Der Pietismus vertritt eine positive Eschatologie (Lehre von der Vollendung der ganzen Schöpfung), die aktives Handeln rechtfertigt und fordert. Die Ausbreitung des Christentums als Vorbereitung auf die Wiederkehr Christi soll aktiv gefördert werden. Führende protestantische Mächte waren im 18. Jh. die Niederlande, Dänemark und England. In Basel wird 1815 die erste nicht an eine Landeskirche gebundene Missionsgesellschaft gegründet. Nach diesem Vorbild werden auch in Deutschland Missionsvereine gegründet.1 In Wuppertal und Barmen rufen pietistische Fabrikantenzirkel zur Mission auf. Alle Gründungen sind durch europäische und atlantische Erweckungsbewegungen geprägt. Eigene Missionsschulen bilden Missionare aus. Seit 1825 geschieht das auch in Barmen. Die deutsche protestantische Mission entwickelt sich.2 Der protestantische Missionswissenschaftler Gustav Warneck sieht die ethnische Volkskirche als richtig an. Das ganze Leben eines Volkes soll evangelisiert werden; dazu muss der Missionar die indigenen Sprachen, Kulturen und Religionen kennen. Dieses Wissen soll als Instrument dienen.3
Die Berechtigung der Mission durch den Glauben
Der Sendungsauftrag des Christentums ist bei den vier Evangelisten formuliert. Das Ziel ist die Christianisierung ganzer Völker und der ganzen Welt. Der pietistische Ansatz von Mission ist, die Heiden zu bekehren, da die Wiederkehr Christi erwartet wird. In pietistischer Sichtweise ist ein vollwertiger Christ erweckt und erwählt. Erweckt zu sein bedeutet, die Erfahrung des Geistes Christi, mit dessen Hilfe der Sünde widerstanden werden kann, durch die Bekehrung als inneres Gefühl, gemacht zu haben.4 Die Wiedergeburt ist die Herzensbekehrung, die sich im tätigen Glauben, nach dem das ganze Leben ausgerichtet ist, äußert. Wiedergeburt und Bekehrung erreicht man durch Buße, durch Änderung seines Selbst und seines Gemütes und den Glauben. Die Bibel ist die wichtigste Quelle des Glaubens, sie muss gelesen werden können.5 Erwählt zu sein bedeutet den Gnadenstand zu haben; Gott gibt diese Gnade, sie beinhaltet Erlösung und ewige Seligkeit. Niemand weiß, ob er Gottes Gnade hat oder nicht, jeder muss davon ausgehen, er hätte sie und deshalb muss das ganze Leben den Geboten Gottes entsprechen. Soziale Arbeit des Menschen ist gottgewollt und für den Ruhm Gottes.6
Die Berechtigung der Mission durch materielle Spenden und öffentliches Interesse
Missionsfreunde aus erweckten oder neupietistischen Kreisen spenden Geld für die Mission. Die Missionare sind ihnen persönlich durch Missionsfeste bekannt und die Spender werden über die Arbeit der Mission auch von Missionaren und ihren Gattinnen selbst unterrichtet.
Begegnung des Missionars mit der Kultur des Missionsgebietes
Im Seminar wird den Missionaren meist theoretisches Wissen vermittelt, sie werden auf die Kontaktsituation mit einer fremden Kultur eher wenig vorbereitet. Der Missionar ist Träger der abendländischen Kultur, die grundsätzlich als Höhepunkt der Entwicklung des Menschen gesehen wird. Mission trennt diese Kultur nicht vom Christentum, denn das Evangelium veredelt jede menschliche Leistung, die erst so Kultur genannt werden kann. Es gibt nur eine Kultur: die christliche Kultur. Damit unterscheidet sie sich von der Zivilisierung, die keine ethnischen Standards hat. Indigene Völker haben wegen des Heidentums eine Unkultur. Der Missionar ist mit seiner christlichen Kultur verwachsen und beurteilt die fremde Kultur aus diesem Gesichtspunkt, es ergibt sich ein subjektives Bild, welches zur Verfremdung des Fremden führt. Missionarisches Interesse für die indigene Religion dient dazu, passende Elemente herauszulösen, um das Heidentum zu bekämpfen.7
Mission im Batak Gebiet
Ab 1824 versuchten erste westliche Missionare der Englischen Baptistischen Gesellschaft und der amerikanischen Missionsgesellschaft die Batak zu missionieren. Alle waren nicht erfolgreich. Sie übersetzten Teile der Bibel und machten Reisenotizen, was für die Nachfolger wichtig war. Nach 1842 missionierten Van Asselt und W.F. Betz von der niederländischen Emelo Missionsgruppe. Van Asselt lernte die Batak Sprache, gründete eine Schule und half Kranken und Bedürftigen.
1850 wurde der Linguist H.N. Van der Tuuk von der niederländischen Bibelgesellschaft nach Nordsumatra geschickt, er hielt sich im Barus-Gebiet auf. Er erforschte die Batak Sprache, erarbeitete ein Niederländisch-Batak Wörterbuch, eine Batak Grammatik, übersetzte Teile der Bibel, sammelte Volksgeschichten und Batak Dokumente. Er war auf die Hilfe der Datu (Zauberpriester bzw. Magier-Gelehrte) angewiesen. 1859 besuchte Fabri, Inspektor der RMG, die Bibelgesellschaft in Amsterdam. Dort las er ein Büchlein mit Übersetzungen der Batak Sprache von Van der Tuuk. Fabri sah das als Wink Gottes, die Missionierung der Batak ernst zu nehmen; auch deshalb, weil dort der Islam vorrückte. 1860 beschloss die Generalversammlung der RMG die Batak Mission. 1861 wurde Ludwig Ingwer Nommensen zum Missionar ordiniert und traf vor seiner Abreise nach Sumatra Van der Tuuk. 1861 fand in Siripok (südliches Batak Land) die erste gemeinsame Konferenz von niederländischen und rheinischen Missionaren statt.
Die rheinischen Missionare beschlossen im Landesinneren weiterzuarbeiten, da dieses Gebiet von der niederländischen Kolonialregierung als unabhängiges Gebiet erklärt worden war und es kaum von außen beeinflusst war. Die Missionare konnten dort der Batak Gesellschaft im „Originalzustand“ begegnen und mit Missionierung und Bildung beginnen.
Die Missionare hatten schon eine bestimmte Vorstellung, die im Seminar in Barmen vermittelt worden war, wie sie diese Aufgabe meistern sollten. In der Realität musste diese Vorstellung angepasst und verändert werden. Der Kontakt mit Missionaren veränderte Batak und Missionare. Durch das Zusammentreffen mit westlichen Missionaren wurden sich die Batak ihrer eigenen Traditionen bewusst und erkannten, welche Teile ihres Gesellschaftssystems nicht mehr länger unterstützt werden und welche bewahrt werden sollten.
Einiges, was die Missionare anboten, war gut, aber nicht alles war akzeptabel. Durch den Unterricht in Missionsschulen entstand ein Dialog, der widersprüchlich sein konnte und auch bereicherte. Die Missionsschule vermittelte den Glauben in Form der Bibel, von Liedern und Gebeten. Endziel des Erlernens des Lesens und Schreibens war das selbständige Lesen der Bibel. In der Schule wurde auch christliche Gemeinschaftserziehung vermittelt, dabei sollte die indigene Kultur bewahrt und entwickelt werden.8
Nommensen im Batak Gebiet
In der Zeit, als Nommensen das Batak Gebiet aufsuchte, waren die Batak bereits in ihrer gesellschaftlichen Ordnung erschüttert. Die gewaltvolle Padri Bewegung hatte das südliche Batak Gebiet weitgehend islamisiert und stellte eine Bedrohung dar. Die Batak realisierten, dass ihre Unabhängigkeit bedroht war und ihre Gesellschaftsordnung Erneuerung benötigte.
Aus dieser Situation heraus könnte auch eine gewisse Aufnahmebereitschaft für neue Ansichten und Wege verstanden werden. Nommensen erreichte 1863 das Silindung Tal, sein Beschützer und Freund war Raja Pontas Lumbantobing. Nommensen konnte in dieser Region die ersten Christen taufen, die aus ihren Siedlungen verstoßen wurden. Aus diesem Grund gründete er ein Dorf namens Huta Dame. Er war nun Raja Huta, d.h. Dorfchef. Diese Position erleichterte die Kommunikation mit anderen Dorfchefs. Er hatte bei der Christianisierung viel Einfühlungsvermögen und vor allem großen Respekt vor der traditionellen Kultur der Batak. Später missionierte er auch im Kernland der Batak, um den Toba See. Er lehrte Toleranz, was später auch die Versöhnung mit der islamischen Bevölkerung erleichterte.9
Die traditionelle Batak Gesellschaft
Die Batak Gesellschaft, der Nommensen begegnete, war eine komplexe Gesellschaft. Sie war keineswegs primitiv, ungebildet und unzivilisiert im eigentlichen Sinn.
Jedes Individuum ist durch Geburt oder Heirat Mitglied eines Klans. Das Dorf garantiert Bürgerrechte und Verantwortung auf dem Prinzip der Verbindung von Klan, Territorium und Recht. Der Dorfchef, Raja, ist Leiter der sozialen und wirtschaftlichen Angelegenheiten des Dorfes, er soll in höflichen Diskussionen Einigkeit erreichen, kann auf der Grundlage des überlieferten Adat-Rechts aber auch eigene Entscheidungen fällen. Bündnisse wie Horja und Bius regeln innere und äußere Angelegenheiten.
Das Adat bzw. Gewohnheitsrecht reflektiert die Weltanschauung und enthält das Ideal der Entwicklung von individuell und gesellschaftlich agierenden realen perfekten Menschen. Kinder zu haben ist der höchste Wert der Familie und als solcher mit den drei wichtigsten Idealen Reichtum, Fruchtbarkeit und Ehre verbunden. Land und Kinder bedeuten Reichtum; Reichtum gibt den Mitgliedern eines Dorfes Ansehen und Ehre. Der Klan, der fruchtbar ist, Reichtum und Ehre hat, besitzt Kraft und Macht, im Sinne von physischer, natürlicher und übernatürlicher, geistiger Macht.
Die Grundsätze, die dem Mythos und der mündlich überlieferten Tradition entsprechen, sind Glaube an Gott, die Blutsverwandtschaft bewahren, Regeln befolgen, das Gesetz und die hohe Stellung des Adat respektieren und befolgen. Die Erziehung der Kinder entspricht den Hauptkategorien moderner, westlicher Erziehungswissenschaften, nämlich Werte, Wissen und Fertigkeiten zu vermitteln.
Der Datu verfügt über ein professionelles und spezielles Wissen, welches nicht öffentlich weitergegeben wird. Er wird verehrt und gefürchtet, er beherrscht Techniken der guten und bösen Zauberei, kann schreiben , lesen, heilen, die Zukunft vorhersagen, hat Kenntnisse über Astrologie, Klima, Wetter, diagnostiziert Krankheiten und kann Verbindungen zu Geistern der Vorfahren herstellen.10
Zusammenfassung
Zum Zeitpunkt der Missionierung handelte es sich beim Volk der Batak um eine hoch differenzierte, komplexe Gesellschaft, die alle Bereiche des Lebens durch entsprechende Fähigkeiten, Erkenntnisse und vorhandenes Wissen regelte. Die Missionare, die in Kotakt mit diesem Volk traten, waren aufgrund ihrer Ausbildung sicher in der Lage das zu erkennen und zu respektieren. Ihr Auftrag war klar vorgegeben, sie mussten evangelisieren, um das Reich Gottes vorzubereiten.
Dieses Motiv entspricht der pietistischen Bewegung, deren Anliegen es war, aktiv Heiden vom Christentum zu überzeugen. Nur Christen können am Reich Gottes teilhaben und dürfen auf ewige Seligkeit hoffen. Jeder Missionar, der von pietistisch geprägten Missionsgesellschaften entsandt wurde, hatte die Aufgabe Heiden zu erweckten und zu Christen zu bekehren. Der persönliche tiefe Glaube und die Vorbereitung im Seminar ermöglichten den Missionaren diese Aufgabe wahrzunehmen.
Die Kultur der Batak war wahrscheinlich zumindest theoretisch bekannt, da es Reiseberichte, Berichte von Kolonialbeamten, Forschern, Literaten und Angestellten der Niederländischen Kolonialregierung und auch Berichte anderer Missionsgesellschaften und speziell die Schriften von Van der Tuuk gab. Nommensen als erster Missionar im Toba-Batak Gebiet kannte die Berichte von Van der Tuuk.
Nommensen war von seiner Mission sicher überzeugt, er wollte aus eigenem Antrieb Missionar werden und hatte ein Erweckungserlebnis gehabt. Er muss eine außergewöhnliche Persönlichkeit gewesen sein, da er es verstand, auf die Kultur der Batak einzugehen und so seine Missionsaufgabe verwirklichen konnte.
Die Kolonialmacht der Niederländer war für diverse Ansprüche der Mission wie Verkehrsmittel, Briefverkehr, geografische und wirtschaftliche Kenntnis des Landes und die Duldung des Aufenthaltes im Kolonialgebiet und im unabhängigen Gebiet im Landesinneren sicher wichtig. Zudem gestattete die Kolonialregierung keine Missionierung in muslimischen Gebieten. Die Christianisierung von Heiden wird von Bedeutung gewesen sein, da Menschen mit europäischen Verhaltensweisen besser einzuschätzen und in Arbeitsprozesse integrierbar sind.
Der Erfolg der christlichen Mission im Batak Land ließe sich dadurch erklären, dass möglicherweise Teile der christlichen Ethik, Moral und Glaubenspraxis sich von den traditionellen Gegebenheiten nicht so sehr unterschieden.
Die Batak waren zur Zeit der ersten Kontakte mit christlicher Mission vermutlich in einer „Aufbruchsituation“, da muslimische Kräfte näher rückten und sich die Gesellschaft außerhalb ihres Gebietes aufgrund der Einwirkungen der Kolonialmacht veränderte. Auch das könnte ein Interesse an neuen Inhalten und Lebensstrategien erklären.
Die Batak zeichneten sich dadurch aus, dass sie Neues und Praktisches in ihr Lebensgefüge und Weltbild integrierten. Das christliche Gedankengut konnten sie in diversen Teilen annehmen und verloren damit nicht ihre eigene Identität. Auch heute orientieren sie sich in den wesentlichen Lebensabschnitten wie Hochzeit und Bestattung am Adat-Recht.
Fußnoten
1. Altena, Thorsten: „Ein Häuflien Christen mitten in der Heidenwelt des dunklen Erdteils.“ Zum Selbst- und Fremdverständnis protestantischer Missionare im kolonialen Afrika. 1884-1918. Münster, 2003, S.16-20.
2. Lehmann, Hartmut (Hrsg.): Geschichte des Pietismus. Bd. 4: Glaubenswelt und Lebenswelten. Göttingen, 2004, S.166-176.
3. Altena, Th.: „Ein Häuflein Christen...“ S.22.
4. Gleixner, Ulrike: Pietismus und Bürgertum. Eine historische Anthropologie der Frömmigkeit. Göttingen, 2005, S. 26.
5. Lehmann, H.: Geschichte des Pietismus. S. 49-65.
6. Weber, Max: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie. 1. Aufl., Tübingen, 1988, S. 94-102.
7 Altena, Th.: „Ein Häuflein Christen...“. S. 101-117.
8. Aritonang, Jan, S.: Mission schools in Batakland (Indonesia) 1861-1940. Leiden, New York, Köln, 1944, S.1-6
9. Hummel, Uwe: Beiträge zu: Feier zum 175. Geburtstag von Ludwig Ingwer Nommensen am 6.2.2009 im Missionshaus der VEM in Wuppertal. Zur Verfügung gestellt von Herrn Apelt, VEM.
10. Aritonang, J.: Mission schools... S. 35-50.
Literatur
Altena, Thorsten: „Ein Häuflein Christen mitten in der Heidenwelt des dunklen Erdteils“. Zum Selbst- und Fremdverständnis protestantischer Missionare im kolonialen Afrika 1884-1918. Münster, 2003.
Aritonang, Jan, S. Mission schools in Batakland (Indonesia) 1861-1940. Leiden, New York, Köln, 1944.
Gleixner, Ulrike: Pietismus und Bürgertum. Eine historische Anthropologie der Frömmigkeit. Göttingen, 2005.
Hummel, Uwe: Beiträge zu: Feier zum 175. Geburtstag von Ludwig Ingwer Nommensen am 6. 2. 2009 im Missionshaus der VEM in Wuppertal. Zur Verfügung gestellt von Wolfgang Appelt, VEM.
Lehmann, Hartmut (Hrsg.): Geschichte des Pietismus. Band 4. Glaubenswelt und Lebenswelten. Göttingen, 2004.
Weber, Max: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie. 1. Aufl., Tübingen, 1988.
Seminar: Mission und Kolonialismus in Niederländisch Indien, Mai 2010
Fern-Universität Hagen, Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften; Prof. Dr. Reinhard Wendt
Referentin: Anne-Rose Kalb-Pachner; Lichtenstein
Ort der Vortragung: Salib Kasih, 23.5.2010, Sumatra
Veröffentlicht im November 2010 im Sidihoni Verlag Online; Redaktion Ch. Schreiber
© Copyright der Farbfotos: Annerose Kalb-Pachner
© Historische Fotos: KIT Niederlande;
Zur online-Recherche des Tropenmuseums NL >>>Recherche NL
Ergänzende Bemerkungen von Christine Schreiber
Von Glaubenskolonien zu Missions-Inseln
Was wurde aus der deutschen Glaubenskolonie?. Hier ist interessant, wie die nächste Generation von Missionaren lebte. Diese kamen mit ihren Ehefrauen und waren zumeist als Missions-ÄRZTE tätig. Durch ihre Versorgung der Bevölkerung in Krankenhäusern und die Schulung von Hebammen legten sie auf neue und bis heute wirkende Weise Zugang zum Volk der Batak. Ich empfehle hier die Lektüre der zwei für persönliche Zwecke verfassten Bücher von Luise Metzler und Renate Buck-Winkler. Die beiden Bücher beschreiben das Klima in den weiterentwickelten „Glaubenskolonien“ und zeigen deutlich den Anteil der Ehegattinnen an einer erfolgreichen Mission. >>> zum Artikel. Im Hintergrund werden die Verheiratungsstrategien und der Zugriff auf die leiblichen Kinder von Missionsfamilien als kirchenpolitische Mittel deutlich. Vor Ort kontrastiert eine privilegierte Lebensweise in wahren „Missionsinseln“ mit Restriktionen und zeitgemäßen Zwängen.
Zum politischen Rahmen im Batakland
Die Kinder und Gattinnen des 1907 von den Niederländern in verräterischer Weise ermordeten Batak-Priesterfürsten SiSingaMangaRaja (SSMR) wurden zwangsmissioniert. Damit war der Fall des freien Batak-Landes im Kernland eingeläutet. Es war nämlich frei, da es sich noch nicht der Kolonialregierung untergeordnet hatte und jegliche fremden Eindringlinge abwehrte.
Die Padri waren äußerst gewaltsam und die südlichen Batak-Länder waren regelrecht traumatisiert von den Gewalterfahrungen. Von Seiten der Kolonialverwaltung und der Mission war es ein explizites strategisches Ziel, eine „Glaubensgrenze“ zum bereits Jahrhunderte lang islamisierten Aceh im Norden Sumatras aufzubauen und im Süden das weitere Vordringen der Padri-Islamisierung zu verhindern. Es sollte sozusagen eine „geostrategische Glaubensinsel“, d.h. ein gesamt-christliches Batak-Land geschaffen werden.
Zur Religion
Die Rolle des Datu ist in der bisherigen und insbesondere christlichen Literatur überbewertet.
Die Mission sah im Datu die Parallele zu ihrer mächtigen Figur des Priesters. Da Raja Pontas Lumbantobing Hauptinformant von Nommensen war, wurde seine Position in der Gesellschaft der Batak durch die Weißen sehr überbetont. Ein Datu war immer Kompagnon des Raja. Daß der Datu mit Furcht und Zauberei arbeitete, wurde m.E. ebenfalls von den Missionaren überbetont und zur eigenen Legitimation benutzt. Da Datus Bücher verfassten, gab es endlich handfestes Material, auf das sich die westlichen Batakkundler stützen konnten.
Foto: Religiöse Zeremonie, Tanz um den Borotan mit Opferbüffel
Wie mir scheint, waren die institutionalisierten Parbaringin und Paniaran wichtigere religiöse und politische Gruppen in der traditionellen, noch nicht christlich beeinflussten Batak-Gesellschaft. Der Datu dürfte auf der dörflichen, praktischen Ebene nicht mehr Einfluß ausgeübt haben als die Sibaso (Hebamme, Heilerin und Trancemedium in einer Person) und herausragende Paniaran (spirituell spezialisierte Gattinnen überregional organisierter Raja).
Die Paniaran waren der Zusammenschluß der Schamaninnen mit der Aufgabe der Kontaktaufnahme der (menschlichen) Vorfahren und beseelten Naturkräfte (den ursprünglichen Bewohnern der Quellen, Wälder und Besiedlungsplätze).
Zur Gottesvorstellung
Gerne wird unterstellt, es handle sich bei den vorchristlichen Batak um den Glauben an EINEN Gott. Der Hochgottgedanke ist von Mission und Kirche provoziert und x-mal reproduziert worden, so daß die Batak dies selbst glauben. Es gab mehrere Gottwesen in der Mythologie, einen Schöpfergott und eine Schöpfergöttin, beseelte Naturplätze, Ahnen mit Götterstellung, zahlreiche gefährliche böswillige oder gutwillige Geister und durch den Einfluß vom Hinduismus Götter-Triaden für verschiedene Aspekte des Lebens. Bedacht werden muß immer, daß der Glaube an EINEN Hochgott unter der Zentralregierung seit der Unabhängigkeit Indonesiens als eine der fünf Grundsäulen der Verfassung verordnet wurde. Wer noch an Ahnegeister glaubte (ohne erklärter Hindu zu sein) wurde in gefährliche Nähe zu den hart verfolgten Kommunisten gerückt. Wer moderner Staatsbürger sein wollte, erklärte sich zum Anhänger eines Hochgottes.
Hauptelement zwischen Mensch und vorchristlichem Geistwesen war die gegenseitige Verpflichtung, das In-der-Schuld-stehen, das Opfern und Darreichen. Eine Form gegenseitiger Abhängigkeit und Austausches.
Soziologische Elemente
Die Verbindung der Klans untereinander entsteht durch Heiratsallianzen. Diese Allianzbeziehungen werden durch gegenseitigen Austausch mit materiellen Gütern und gutem Segen beständig aufrechterhalten. Sie dauern – durch nie enden wollende Verpflichtung - über viele Generationen an.
Die gegenseitige Verpflichtung auf gesellschaftlicher und religiöser Ebene und ihre demokratisch verfasste Form führte nach Angerler dazu, daß bei den Batak kein Staat entstehen musste. Und dies obwohl die Toba-Batak ein Mehrprodukt erwirtschafteten und überregionale Märkte mit überregionalen Marktgesetzen hatten.
Ich selbst schätze, daß diese Gegenseitigkeit einen großen Missionserfolg brachte, denn die Missionsärzte heilten, brachten vorteilhaftes Wissen und eine neue Art von friedlicher Gemeinschaft.
Zur Gesellschaftsstruktur
Bius war die wichtigste territoriale rituelle Vereinigung, die das jährliche Fruchtbarkeitsfest durchführte und die Rechte der Feldbewirtschaftung regelte. Große Bewässerungsanlagen wie im Silindung-Tal waren nur unter der demokratischen Führung der männlichen Gruppe von Parbaringin und weiblichen Gruppe der Paniaran möglich. Das Amt der Männer war vererbbar; die Funktion der Frauen war die Verbindung zur geistigen Welt der Ahnen und beseelten Naturheiligtümern, die im Zusammenhang mit der Fruchtbarkeit der Reisfelder standen. Diese übergreifende Organisation ist den Missionaren in ihrer ausgefeilten Funktionsweise jedoch nicht aufgefallen. Die Niederländer verboten die Bius-Feste aus Angst vor territorial organisierter Gegenwehr. Die Christen verboten das Horja (auch Fest der Knochenumbettung) aufgrund des starken und direkten Bezugs zur Ahnverehrung. Vergleiche hierzu Angerlers Dissertation.
Verwandtschaftliche Werte
Die „Blutsverwandtschaft bewahren“ meint eher, die besonderen Heiratsregeln (Exogaie) und asymetrische Klan-Allianzen einzuhalten. Adat bewahren heißt familiäre, dörfliche und rituelle Regeln einzuhalten und die überlieferten Sitten zu befolgen. Diese sind ungeschriebenes Recht und in sich flexible. Mit der Anerkennung der hohen Stellung des Adat ist genauso stark diejenige ihrer Repräsentanten verbunden. Das sind die alten Menschen und Verwandten mütterlicherseits. Deren Ratschläge und Beschlüsse werden befolgt. Solch ein System ist in gewissem Maße permanent anpassbar, sprich modernisierbar.
Obwohl Kinder mit hohem Wertebewusstsein erzogen werden muß gesehen werden, daß sie sehr hart arbeiten müssen. Die Eltern fördern die Ausbildung ihre Nachkommen, damit sie ihnen später den erwarteten Reichtum und die nötige Ehre bringen. Das ist oft eine hohe Bürde, die auch ein Motiv für die Migration der Jugend ist.
Die Möglichkeit auch als Christ weiterhin Schweinefleisch verzehren zu dürfen klingt vielleicht banal, ist aber sehr wichtig für den Erfolg der Mission. Der rituelle Austausch, auf dem der Zusammenhalt des Klans und der Gesellschaft basiert, sieht die Gabe von Schweinefleisch vor. Bis heute ist keine Adat-Zeremonie ohne speziell dargereichtes Schwein denkbar. <November 2010>
Foto: Kinder in der Missionsstation Pearadja