Wiedersehen mit Pingu!
Dienstag, 20. August 2013
Uns gegenueber sitzt Deepak Mistry, der Mann soll ueber unser weiteres Schicksal entscheiden, er ist Customs Broker. Mr. Mistry hat es nicht eilig, wir sitzen den ganzen Tag in seinem Buero in einem alten Haus in der Naehe von Victoria Station, im kolonialen Teil von Bombay. Mr. Mistry zeigt den Kindern Zaubertricks und organisiert Schokolade und Kaffee. Wir fuellen ein Formular aus und fahren gegen Nachmittag zum indischen Automobilclub, um unser Carnet ueberpruefen zu lassen. Die Echtheit wird bestaetigt und Mr. Mistry meint: in Indien braucht man viel Papier... ich habe den Eindruck, er versteht sein Handwerk, sehr beruhigend. Allerdings fehlt immer noch das Bill of Loading aus Bandar Abbas, ohne das kann er nicht weiterarbeiten.
Es stellt sich in den naechsten Tagen heraus, dass so einiges schief gelaufen ist mit unserem Transport. Erst mal steht der falsche Empfaenger drin, naemlich Hari Manthena, Patrice Kollege, den wir als Kontakt in Indien angegeben hatten. Viel schlimmer ist, dass die Lieferung als Prepaid verschickt wurde, obwohl wir sagten, wir werden in Indien bezahlen.
Es wurde also keine Rechnung erstellt und ohne die gibts auch kein Bill of Loading. Unsere Nerven liegen blank, wenn wir den Container nicht rausbekommen, fallen hohe Strafgebuehren an. Mr. Vivek von der Shipping Company, der sich darum kuemmert ist schwer zu erreichen, wenn er nicht gerade bei der Beerdigung seiner Tante ist, faehrt er Zug oder telefonniert. Wir sitzen rum und warten, dass wir endlich unsere Rechnung bezahlen koennen.
Dabei wollen wir nicht laenger als unbedingt noetig in Mumbai bleiben, nachdem wir von einem Taxifahrer beklaut worden sind, sehe ich an jeder Ecke Diebe stehen, wir ziehen wieder nach Colaba, nachdem wir uns im ersten Hotel direkt am Crawford Market, einem sehr hektischen Markt, staendig verfolgt fuehlten.
Am Mittwoch nachmittag bekommen wir dann endlich Bescheid, die Rechnung ist jetzt da. Im Glauben, dass das heisst, wir bezahlen und bekommen als Gegenleistung das Bill of Loading, fahren wir mal wieder durch die halbe Stadt nach Lower Parel. Wir koennen zwar bezahlen und bekommen auch eine Quittung, aber leider ist das Bill of Loading noch nicht geaendert worden im Iran bzgl. des Empfaengers. Morgen ist der 15. August, Nationalfeiertag in Indien und danach Freitag bekanntermassen holy Friday im Iran und dann ist WOCHENENDE! Ich werde leicht ungehalten, was natuerlich gar nichts bringt nur ein "aber Madam, das ist doch nicht unsere Schuld!"
Am Abend betrinken wir uns mit Kingfisher Starkbier und begraben unsere Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen mit Pingu.
Am Tag der indischen Unabhaengigkeit von den Briten haben wir endlich Zeit, uns die Stadt anzuschauen, ohne auf einen Anruf warten zu muessen. An einem Tag wie diesem soll man wegen der erhoehten Terrorgefahr Menschenansammlungen meiden, was nicht ganz so einfach ist wie es klingt.
Mumbai ist wie die meisten indischen Grosstaedte ein Ort der Gegensaetze. Da sind einmal die britischen Kolonialbauten im Sueden der Stadt, ganz vorneweg Victoria Station, ein Prunkbau im gotischen Stil, der beweist, dass nicht nur bei uns Bahnhoefe als Prestigeobjekte herhalten muessen oder mussten. Gut, in Indien wollten die britischen Besatzer den Einheimischen ihre Macht demonstrieren, irgendwie nachvollziehbar, aber wer will eigentlich in Stuttgart wem Macht demonstrieren??
Auf der anderen Seite befindet sich im Norden zwischen den 2 wichtigsten Bahnlinien der groesste Slum Asiens - Dharavi, mit einer Ausdehnung von 175 ha so gross wie eine Kleinstadt, leben hier ungefaehr eine Million Menschen unter aermlichsten Bedingungen, die meisten von ihnen haben keinen Zugang zu sauberem Wasser, geschweige denn sanitaeren Anlagen. Seit dem Film Slumdog Millionnaire werden sogar Touren dorthin angeboten, der sogenannte Slum-Tourismus. Wir beschliessen, dass das nicht sein muss und kaufen beim Buchhaendler an der Ecke ein raubkopiertes Buch ueber die Geschichte des Slums...Da steht unter anderem, dass es Volkszaehlungen gab mit dem Ergebnis, dass ca. 50% (!) der Bevolkerung Mumbais in 'inoffiziellen' Wohnungen lebt, sprich in Slums, auf der Strasse oder neben den Bahngleisen.
Montag morgen punkt neun Uhr wie verabredet erscheint Mr. Mistry in unserem Hotel in Colaba, er ist sehr aufgeregt, wir muessen sofort los zum Hafen. Er faehrt schon voraus und wir schauen ohne Fruehstueck im Bauch nach einem Taxi. Und da werden wir wieder runtergebremst in unserem Aktionismus, es dauert eine Stunde, ehe mal ein Taxifahrer aufgetrieben ist, der ueberhaupt die Lange Strecke, es sind fast 2 Stunden nach Nheva Sheva fahren will. Dann sind wir fast da, stehen an einer Tankstelle zwischen Reihen wartender LKW und keiner kann uns sagen, wo das Buero von Mistry ist. Der Taxifahrer will nicht warten und uns mit dem gesamten Gepaeck auf die Strasse setzen. Mr. Mistry ist beim Zoll, zum Glueck tauchen nach einer halben Stunde 2 Mitarbeiter von ihm auf und wir deponieren unser Gepaeck in seinem Buero. Wir fahren zu einem 20 km vom Hafen entfernten Containerlager und der Rest des Tages besteht vorwiegend aus warten und Unterschriften sammeln, wobei da auch einige Geldscheine unter den Schribtischen die Besitzer wechseln, um den Prozess zu beschleunigen. Wie gesagt, Mr. Mistry versteht sein Handwerk. Dann ist noch ein Drucker kaputt, das kostet nochmal eine Stunde, und schliesslich faehrt Patrice um halb acht endlich durch die Schranke. Vasco meinte nur: Mama, wieso dauert das so lang, ist der Papa eingeschlafen?
Aber dann ist die Freude gross, die Kinder raeumen gleich die wiedergefundenen Spielkisten aus, dann bringt uns Mr. Mistry noch zu einem Hotel in der Naehe und verabschiedet sich dann. Er wird nicht vor 12 zurueck in Mumbai sein, ein langer Tag. Wir sind ihm wirklich zu Dank verpflichtet, trotz der Verzoegerung mit dem Bill of Loading hat er die gesamte Zollabwicklung in 2 Tagen durchgezogen.