Zwei wundervolle Tage
Gerhild und Christoph Hagen aus der Schweiz besuchten im Oktober 2013 Sidihoni. Am 17.10. mailen sie aus Indonesien: „Wir verbrachten 2 wundervolle Tage in Sidihoni. Wir wurden wärrmstens empfangen von Ihrer Mutter Ompung Renaldi, ihrem Sohn, dem Ekel Pernando und den beiden Edas. Dank Renaldo konnten wir uns bestens verständigen. Der Besuch von Sidihoni war der absolute Höhepunkt unserer bisherigen Indonesienreise. Liebe Christina, das VERDANKEN WIR IHNEN. Nach unserer Rückkehr werden wir einen ausführlichen Bericht schreiben … … und hier ist er:
Zürich, 6. November 2013
Liebe Christine. Wir sind seit 4 Tagen zurück in Zürich, sehr dankbar für diese geglückte Reise, voller Erinnerungen an die guten persönlichen Begegnungen, gerade auch in Sidihoni, aber auch mit einem Karo Batak im Urwald, einem jungen Lehrer, der uns zu sich einlud und einem Fischer, dessen Zuhause wir am Meer erlebten und nicht zuletzt mit Ebby Liz, dieser sympathischen Frau in Mila’s Kaffee, die Sie von Herzen grüssen lässt. >>>Zum Straßenkinderprojekt MILAS
Und jetzt zu Sidihoni
Die Spannung war gewaltig, aufgeladen durch Ihr Buch und unsere kurze heftige Korrespondenz und die Frage, ob wir überhaupt dahin kommen. In letzter Minute hat es mit dem Auto geklappt. Anette von Tabo-Cottage in Tuk-Tuk auf Samosir vermittelte ein sündhaft teures Auto, was wir akzeptierten, da ja Sidihoni war das Herzstück unserer Reise war…
Dieser nigelnagelneue knallrote Mitsubishi Offroader hatte 2 Vorteile, eine Laderampe, auf die wir später schwere Kaffeesäcke laden konnten und einen urlustigen kleinen kräftigen Kerl als Driver namens „Junior“, der zufällig aus einem Nachbarclan von Ihrem Dorf stammte und freudig vorführte, was dieses Auto alles kann. Ausserdem hat ihn die spätere Begegnung mit Ihrer Familie und uns schwer beeindruckt – er wurde immer begeisterter und gleichzeitig fügte er sich völlig ein.
Wir fuhren zuerst nach Huta Raja, zu diesem architektonisch und auch sonst sehr ursprünglichen Dorf. Dort saß unter dem Haus eine 92-jährige Weberin, die die feinsten Ulos-Tücher webte – wir haben 2 traditionelle Tücher ausgesucht, die später Marisi (Ihr Bruder) als best quality bezeichnete und genauestens beschaute. Die daneben stehende junge Enkelin reagierte nicht bei Erwähnung von Christina, Ihrem Namen, erwähnte aber, sie erwarte gerade ihr 6. Kind. Sie war etwas unsicher, was das alles mit uns zu bedeuten hat.
Dann ging es zu den heissen Quellen zu Melatis Restaurant. Dort kam strahlend ein Mann auf uns zu, der sich als Lusper und als einen Verwandten von Ihnen vorstellte; er freute sich sichtlich, hebt auf dem Foto die Hand und sagt „Hallo Christina“. Die Nudeln waren sehr fein, das Wasser für uns „Alterchens“ zu heiss, die Aussicht wunderschön und es wehte ein herrlich erfrischender Wind.
Jetzt wurde die Landschaft grüner, weiter und weniger besiedelt – der heilige Berg Pusuk Buhit schimmerte von, den wir aber aus Zeitgründen leider nicht umrundet haben. Dann sahen wir den Sidihoni See, heute nur noch ein wenig einladender „Tümpel“ und plötzlich standen wir vor Ompungs (Grossmutters) Haus. Das neue, moderne Steinhaus Ihrer Mutter hat uns in dieser Umgebung ziemlich verblüfft. Eigentlich aus baulicher Sicht eine kleine „Sünde“, zum Leben aber bestimmt sehr viel komfortabler. Das Riesenwohnzimmer mit diesen 50-er Jahre Sofa und Sesseln war ein Kontrast zu der traditionellen schönen Matte am Boden. Die Schüssel zum Geschirrwaschen stand gleich neben der Toilette; so wie Sie es vorab vermutet hatten. Das ebenfalls modern nüchterne Gästezimmer wurde von Ompung oder ihrem guten Geist Eda (Ihrer Schwägerin) so nett mit einer bequemen Matratze und mit frischer Bettwäsche extra für uns hergerichtet. Wir hätten viel lieber im weit weniger bequemen Adathaus von Christina übernachtet, doch diesen Wunsch konnten wir selbstverständlich nicht äussern.
Wie überall in Sumatra und Java befinden sich in jüngster Zeit die Wohnstätten der einheimischen Bevölkerung in rasanter Transformation, wer es sich leisten kann (das können erstaunlich viele), baut ein neues Haus - mal einfacher, oft aber auch aufwendiger mit säulenbestückter Veranda in bunten Farben. Der gestalterischen Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Vor diesen äusserlichen Modernisierungen bleiben auch die Simalangos nicht verschont. In ihren häuslichen Verrichtungen, ihren Essgewohnheiten, ihrer Vorliebe zum Sitzen auf Bodenmatten, ihrer Pflege der verwandtschaftlichen Beziehungen und ihrem ungenierten Entsorgen des Abfalls unmittelbar vor der Haustüre bleiben sie alten Traditionen jedoch weiterhin fest verpflichtet.
Ihre Familie empfing uns mit grosser Wärme und Herzlichkeit. Alle waren ganz präsent und auf unseren Besuch eingestellt. Diese Begegnung, dank Ihrer Vermittlung, bedeutete uns viel.
Da ist zuerst Ompung, diese winzige, auf den ersten Blick zerbrechlich, etwas schwach und ziemlich alt wirkende Frau mit vom Betelgenuss blutrot gefärbten Mund auf der Matte am Boden sitzend, entpuppte sich bei genauerer Betrachtung eindeutig als Herrin des Hauses, Machtzentrum der Familie und bestimmende Chefin der Großfamilie. Klar, wollte sie damals die Heiratsurkunde (Eintragung einer Lebenspartnerschaft) von Christina sehen! Ompung verfügt möglicherweise auch über die meisten materiellen Ressourcen! Ihr Blick und ihre Aufmerksamkeit wurden je länger wir da waren, immer lebendiger und wacher. .Sie wurde von allen Mitgliedern der Familie, Klein und Gross, hoch geachtet und unglaublich liebevoll umsorgt. Gerade auch von der neuen Schwiegertocher „Eda“, Marisis zweiter Frau.
Nach Auskunft von Pernando (Marisis Sohn) hatte sie einen kleinen Hirnschlag. Ompung plagt vermutlich Arthritis in den Gelenken – sie hat Mühe zu stehen und zu gehen. Laut Pernando hat sie auch eine schwere Erkrankung im Unterleib, müsste operiert werden, was man nur in Jakarta könne. Sie ist aber nicht transportierbar – vielleicht geht sie auch aus finanziellen Gründen nicht dorthin, was aber nicht diskutiert wurde. Sie geht zur Kontrolle ins Bezirksspital. Weil sie keine Zähne mehr hat, werden ihr die Betelblätter von Sohn Marisi und den Enkeln Nico und Pernando sorgfältig in einem Messingmörser zermalmt, die sie häppchenweise in den Mund nimmt, nachher in den danebenstehenden Spucknapf befördert, was etwas gewöhnungsbedürftig ist. Betel hat Ompung richtig aufgeweckt und animiert.
Nach einer kleinen Vorstellungsrunde und geruhsamen Geplauder zeigte ich unsere Familienfotos und zwei Schweizer Berge mit Schnee, die Marisi sofort haben wollte, was mich amüsierte. Unser Geschenk für Ompung – ein Halbprofil der Heidigeschichte, deren Inhalt ich beigelegt hatte – war wohl nicht so ein Hit. Ompung schaute die Figuren etwas verwundert an.
Dann fuhren wir mit Marisi, Pernando und Driver Junior in unserem Supergefährt zur Kaffeeplantage von Marisi, wo Marisi stolz seine Arabica-Kultur zeigte. Erstaunlich, wie viele Parasiten die Bohnen befallen. Die Bäume waren, soweit wir das beurteilen können, gut gepflegt. Gegenwärtig ist der Preis Rupiah 8’000 für 1 kg – vor einem Jahr betrug er Rupia 27’000. Abhängig vom Weltmarkt und den Warenterminbörsen beläuft sich die Schwankungsbreite für die Produzenten bis zu 300%, für die Konsumenten in unserer Hochpreisinsel Schweiz jedoch höchstens bis zu 20 - 30%. Je tiefer der Erzeugerpreis, desto höher der Gewinn für Zwischenhändler und Endverarbeiter. Es steht also für die Kaffeepflanzer nicht rosig mit dem Ertrag. Auf dem Rückweg schulterten Marisi und Pernando die 15 kg schweren Kaffeesäcke auf dem Kopf. Da kam das tolle Telefonat von Ihnen direkt aus Deutschland zu uns aufs Feld. „Christina!“ Marisi zog sein Handy hervor, welches aussah wie ein Kriegsveteran mit vielen Pflastern zusammengehalten. Er wolle spontan zurückrufen, dann fiel ihm ein, dass das doch etwas teuer sei.
Auf der Rückfahrt, schwer beladen mit Kaffeesäcken, besuchten wir die Simalango Ursprungsdörfer Lumbanbolon und Paramparongan. Die Häuser wirklich ursprünglich – das erste Haus ist gratis von einer Familie bewohnt, die nächsten 3 sind vermutlich unbewohnt. Das andere Dorf ist gut bewohnt von zumeist ärmeren Verwandten, die das Schälen der Kaffeebohnen besorgen, was wir gleich alle ausprobiert haben. Es ging erstaunlich leicht mit dieser Radraspel, ohne die Bohnen zu verletzten. Aus zwei Häusern kamen rührende, sehr alte Männer, vermutlich Verwandte von Ihnen, die uns sehr herzlich begrüßten. Pernando zeigte uns die steinerne Urne im Gebüsch, in der Nähe eines wunderbaren Baumes. Die ganze Lokalität hatte eine sehr spezielle Atmosphäre wie ein „Kraft-Ort“, was nicht hinderte, dass ein Mann mit sehr archaischer Bambusleiter Früchte von einer Palme hoch oben für berauschenden Palmwein erntete.
Zu Fuß heimgekommen (das Wort sagt schon etwas über unsere guten Gefühle in dieser Familie), war das von Eda zubereitete Abendessen parat – wir freundlicherweise mit Marisi und Pernando am Tisch auf Sesseln, – wir saßen etwas wie auf der Bühne. Ompung, Eda und ihre beiden Mädchen und Nico am Boden. Alle Töpfe doppelt. Ein „Sonntagsmahl“, schmackhafter Fisch, Huhn, Reis, Chilli (Christina habe Chilli auch so gerne) und was selten ist, Papaya. Auch abgekochtes warmes Wasser wurde zum Trinken bereitet aus dem neuen japanischen vollautomatisierten elektrischen Wasserkocher, den die Familie immer benutzt. Vor dem Essen stand Ompung mit Hilfe der Kinder unerwartet auf und hielt sehr aufrecht eine richtig würdevolle Ansprache (die wir zu gern verstanden hätten). Ich versuchte auf ebenso würdige Weise die Beziehung von Christina zur Sippe zu beleuchten, soweit ich sie aus unserer Korrespondenz heraus destillieren konnte. Pernando hat ein wenig übersetzt. Dann betete Fernando ein schönes englisches Gebet und bat uns auch zu beten. Au weia – wir halfen uns auf Deutsch mit einem etwas individualisierten Vaterunser.
Nach dem Essen entspann sich eine lebhafte Diskussion über die Kaffeeernte und ihre Vermarktung, Konzessionen, Kosten, fair trade Prinzipien. Marisi meinte, die Batak seien sehr traditionell, wenig innovativ und hielten wenig von Kooperation. Es sei für sie wichtiger, das Geld sofort zu erhalten als langfristige Strategien (was mit Kontrakten verbunden wäre) zu entwickeln. Pernando hörte aufmerksam zu. Wir gerieten so in Eifer, dass die Frauen auf der Matte reklamierten, sie seien ausgeschlossen, was absolut zutraf. Das fand ich etwas beschämend – wie stark sind wir in diese «männliche» Welt eingebunden und wie wenig konnten wir, auch durch die Sprachbarriere bedingt, den Frauen mitteilen. Bei alltäglichen Handlungen wie handwerken, kochen etc., wäre das einfacher gewesen, obwohl ich in Ihrem Buch las, dass die Frauen eigentlich das Geschäft betreiben, das Geld verwalten und sehr hart auch im Feld arbeiten – die Geschlechtertrennung also nicht so läuft, wie ich das hier bei traditionellen Familienverbänden angenommen habe. Fest steht, dass das ganze Kaffeebusiness bis hin zur Vermarktung eine Riesenarbeit ist. Marisi erwähnte, dass hier niemand hungere, aber es reiche meist nicht für die Bildung der Kinder über die minimale indonesische Schulpflicht hinaus. Mit Pernando kamen wir noch auf Stipendien (nicht von Indonesien), sondern der Schweiz oder Deutschland zu sprechen – aber das setzt extrem gute Abschlüsse voraus und ist auch sonst recht dornig.
Die ganze Familie war ungeheuer natürlich und offen miteinander, auch mit uns. Keinerlei Berührungsängste. Hier schien es, dass die Geschlechter locker miteinander umgehen – selbst der 17-jährige Fernando saß gemütlich zwischen uns, wir fühlten uns nie als Fremde. Man konnte lachen oder auch schweigen, ohne dass es je beklemmend wurde.
Marisi, dieser sehnige Mann mit dem sehr lieben Lächeln, erwähnte, er könne einfach nicht aufhören mit dem Rauchen, obwohl er das immer wolle. Seine 2. Frau Eda, diese schöne modern wirkende Frau, war völlig im Hintergrund, schmiss offensichtlich den ganzen Haushalt, sehr effizient. Ich habe sie leider wegen der Sprachbarrieren kaum persönlicher ansprechen können, was mir nachträglich leid tut. Pernando übersetzte anfänglich sehr rudimentär. Sein Englisch wurde immer besser – er diskutierte anschliessend mit Marisi und uns und kannte auch abstrakte Begriffe. Pernando schien mir ein sehr interessanter und differenzierter Jugendlicher zu sein, eine Mischung aus introvertierter Verträumtheit und stiller Aufmerksamkeit bei seinen vielen kleinen Handreichungen. Abgesehen davon ist er, wie wir nach dem Kirchgang feststellten, der weitaus hübscheste Jugendliche vom ganzen Dorf. Er lacht so herrlich scheu. Am Samstag Abend war eine Party für die Jugendlichen bei der Kirche. Mit lauter Musik und Motorradgedröhne. Wir mussten ihn mehrmals auffordern auch zu gehen, so höflich war er .Das Mobilphone (wir sagen in der Schweiz „Handy“). war auch sein liebstes Spielzeug. Er hat, glaube ich, auch ein Motorrad. Er ist bald im letzten Schuljahr und bangt etwas auf die staatliche Schlussprüfung hin.
Etwas Wichtiges habe ich beinahe vergessen, die Begegnung mit ihrer Schwägerin Eda 2, Mutter von Nico und Riskia. Diese ganz reizende, feine zurückhaltende Frau kam mit herzlicher Begrüssung herbei und zeigte uns das Adathaus von Ihnen Christina. Eda 2 wohnt mit Riskia, einem sehr schüchternen, wesentlich jünger aussehenden Mädchen (14 Jahre) in diesem Haus. Die Atmosphäre in dem grossen Raum und die wunderbar handbearbeiteten Säulen aus Hartholz, die das Dach tragen, und das Authentische des Hauses haben uns sehr beeindruckt. Es war alles tadellos in Ordnung – wir hätten gerne dort übernachtet. Unser Fahrer meinte aber zu Recht, das würde Ompung verletzen. Sehr berührt hat uns die ungeheuer karge Lebensweise von Eda 2. Die harte Matte am Boden, ein Bett gab es auch, die Feuerstelle mit 2 Töpfen für Reis und Suppe/Gemüse. Eda arbeitet hart in der Kaffeeplantage von Marisi. Wie schafft sie es nur sich und ihre Tochter Riskia so frisch gebügelt und adrett herzurichten. Der Kontakt zu ihr war sprachlos sofort da.
Nachdem Ompung sich ins Schlafzimmer zurückgezogen hat, holte Marisi das Plakat mit dem tollen Stammbaum – wir setzten uns alle auf den Boden und bestaunten dieses Dokument der verstorbenen Ahnen des Vaters. Es bildete sich eine ganz vertrauliche, friedliche, ja beinahe feierliche Stimmung bei der Betrachtung des weitverflochtenen Ahnenrades. Marisi bedauerte, dass er diese vielen Namen nicht auswendig könne, obwohl er es immer mal versuche.
Am nächsten Morgen nach reichlichem Frühstück gingen wir ein wenig in der wunderschönen reinen Landschaft spazieren, Büffel weideten, ein reizendes junges Mädchen begegnete uns mit Stöckelschuhen auf dem Motorrad, später nochmals. Sie begrüsste uns in traditionell respektvoller Art und hielt mich dann mal einfach fest – ihre Reihe Geschwister als Zuschauer. Es war zum Lachen. Wir beendeten diese freundliche kleine Gefangenschaft mit dem Hinweis auf die Kirche. Ich probierte zu Hause noch den Sarong, Ompung meinte, es geht auch ohne und deutete lachend kurze Hosen an, die Christine mal getragen habe.
In der Kirche waren aus Platzgründen alle Bänke herausgetragen – die Kirche gestopft voll. Vorne die Kinder, dann die Teenager und rechts die jungen und weniger jungen Frauen, links die Männer. Die Frauen sahen wie Königinnen aus, nicht in traditioneller Kleidung oder Sarong (Wickelrock), sondern in einer Art Abendkleidern, mit schmalen langem Rock und farbigen durchsichtigen Blusen, tollen Haarfrisuren, alles farblich abgestimmt. Ich war schlicht baff. Die Kinder auf und um sie herum garniert, in erwartungsvoller Stimmung, ohne je zu stören oder zu quengeln. Ja, die Indonesier allgemein lieben die Kinder wirklich.
Endlich traf der Priester ein, ein Franziskaner Mönch mit 2. Mönch. Das war ein sehr stämmiger, grosser Mann mit sehr rundem Kopf und kräftigen Haaren, an den Füssen Stiefel wie für eine Walliser Berghochtour. Selbstverständlich ordnete er mit lebhaften Gesten seine religiösen Utensilien; alle Vorbereitungen wurden von einem ziemlich lausig bespielten elektronischen Harmonium begleitet. Eine burschikose Gesangsleiterin dirigierte mit schriller Stimme die Kinder und Jugendlichen zu lauten Gesängen. Der absolute Hit war der Priester, der während der durchaus feierlichen Messe zwischendurch vom Altar zu den Gläubigen lief, witzig Kontakt herstellte und mit vielen Pointen die Kirchgänger zum Lachen brachte. Als erstes hat er die Kinder einbezogen mit 3 bunten Bällchen in der Hand, zu denen er jeweils eine interessante Übung ausgedacht hatte. Z.B. hielt ein Kind ein Bällchen zwischen Kinn und Schulter fest und musste diesen an das nächste Kind weiterreichen, ohne Hilfe der Hände. Natürlich fiel das Bällchen ab und zu herunter, worauf alle lachten. Die Übungen hatten, wenn ich es richtig verstanden habe, den Sinn: Man soll nicht wie ein Bällchen in alle Ecken springen, sondern auch eine Linie halten (Disziplin und Kommunikation).Die Babys und kleinen Kinder bis 4 Jahre saßen bei ihren wunderbar herausgeputzten Müttern, oder hingen im Arm, meist schlafend. Die etwas Grösseren vergnügten sich vor der Kirche. Mich erinnerte diese Messe an Feste mit Tibetern, an denen immer alle teilnehmen. Klar, dieser Priester war ein talentierter, charismatischer Kommunikator, ein Menschenkenner voller Humor und einem Selbstverständnis, was von den Erwachsenen mit grossem Interesse und Wachheit aufgenommen wurde.
Die ernsteren Teile der Rituale wurden natürlich auch zelebriert. Marisi flüsterte, er könne nicht zur Kommunion gehen, weil er zum 2. Mal verheiratet sei. Ich solle unbedingt gehen. Ich versuchte ihn zu trösten, dass der neue Papst diese Ausgrenzungen abschaffen wolle und erwähnte, ich hätte meine Sünden nicht gebeichtet, darum gehe ich auch nicht zur Kommunion. Gibt es die Beichte überhaupt noch? Und wie macht man das in Sidihoni, wo kein Priester vorhanden ist? Im Stillen oder ohne? Es gingen praktisch alle zur Kommunion, darum war wohl auch der Hilfspriester vorhanden. Ich frage mich, ob den beiden Edas hier nicht etwas besonders Gemeinschaftliches in dieser farbigen Messe entgeht? Dann kamen noch die Frauenchöre, dirigiert von einem kleinen etwas verrupften Fraueli – aber mit Verve wurde da dirigiert und gesungen, mit kräftigen Stimmen. Es war ein gelungener Abschluss nach 2 ½ Stunden. >>> Link zu Pater Leo Joosten OFCap - Interview
Nach der Messe wurden mit vielen weiteren Familienmitgliedern alle Simalangos noch mal vor dem Haus von Ompung versammelt, wir verloren den Überblick über die Verwandtschaftsbeziehungen – Fototermin: Alle schauen todernst, obwohl es in Wirklichkeit locker zu- und herging. Es war ein herzlicher, warmer Abschied (Küsse von der winzigen Ompung, die mich sehr rührten). Unser Driver erschien mit seinem lustigen Gesicht, sichtlich beeindruckt von dieser Begegnung mit Ihrer freundlichen Sippe. Er wollte die seine in der Nähe auch gleich zeigen. Dann würden wir gleich 2 Familien kennen. Ich hielt das zuerst für einen Witz, wir mussten aber aus zeitlichen Gründen darauf verzichten. Wir fuhren sehr bereichert und ziemlich k.o. mit unserer Prachtkutsche und einem mäuschenstillen Sohn vom Driver zurück nach Tuk-Tuk.
Ja, liebe Christine, Sie haben uns nicht nur das Buch beschert, sondern auch diese liebenswerte Familie. Eine einmalige Chance über die kulturellen Grenzen hinweg, tausend Dank. Diese Menschen muss man einfach gern haben in ihrem entbehrungsreichen Leben, persönlichen Verletzungen aber auch in ihrer Offenheit und dem Zusammenhalt, den sie einander geben. In dieser herrlichen Landschaft und besonderen Baukultur. Ganz abgesehen von ihren religiösen Leben und dem Ahnenkult.
2 Leute haben wir wegen der langen Messe leider nicht besucht: die Eltern von Yunita Pandeangan und den Sohn des Handwerkers, der Ihr gemeinsames Adathaus gebaut hat.
Nach diesem etwas epischen Bericht wünschen wir, Christoph und ich, Ihnen von Herzen viel Gutes, in der Hoffnung, einander bald kennenzulernen.
Ihre Gerhild und Christoph Hagen
Info: So kam es zum Kontakt: Im September 2013, erhielt ich folgende Mail-Anfrage
Betreff : Samosir. Sidihoni. Besuch im Oktober 2013
Sehr geehrte Frau Schreiber
Mit grosser Begeisterung haben wir im Zusammenhang mit Vorbereitungen auf eine längere Indonesienreise im Oktober 2013 Ihr Buch Sidihoni über die Toba Batak gelesen – ein sehr engagierter, liebevoller und gleichzeitig fachlich fundierter ethnologischer Bericht. Wir sind kulturhistorisch ethnologisch interessierte Reisende, Psychoanalytikerin mit 2-jährigem Studium der Indologie in Indien (vertraut mit Ethnopsychoanalyse) bzw. Kunsthistoriker im Denkmalschutz mit langjährigen Aufenthalten in sog. Entwicklungsländern.
Wir sind im Oktober 2013 in Sumatra und besuchen die Insel Samosir im Toba See vom 10. bis 14. Oktober. Eine Besichtigung des Sidihoni Gebietes und Ihres Adat Hauses in Peatabu im Sinne Ihres in der Publikation geschilderten Projektes „kreative Kulturvermittlung“ würde uns sehr interessieren.
Ich danke Gerhild und Christoph Hagen für die Bereitstellung des Textes und die meisten derobigen Fotos. Mauliate godang, terimah kasih!
Restliche Fotos: Christine Schreiber